Helena Roerich
Die Grundlagen des
Buddhismus
„Die Evolution des neuen
Zeitalters beruht auf dem
Grundstein von Wissen und
Schönheit“
Nikolaus Roerich
Einleitung
Die erste Ausgabe der „Grundlagen
des Buddhismus" erschien unter dem Namen Natalie Rokotoff,
einem Pseudonym, das öfters von Helena Iwanowna Roerich
benutzt wurde.
Nach Frau Roerichs Ableben im
Jahre 1955 hat man sich nach Beratung mit ihrem Sohn Svetoslav
Roerich entschlossen, Frau Roerichs eigenen Namen in die Neuauflage einzusetzen.
Das vorliegende Buch enthält
verschiedene Ergänzungen, die auf Frau Roerichs Wunsch in die zweite Ausgabe
miteinbezogen wurden.
* * *
Der Große Gotama
gab der Welt eine umfassende Lehre für die vollkommene Lebensgestaltung. Jeder
Versuch, aus dem großen Revolutionär einen Gott zu machen, führt ins Absurde.
Vor Gotama
gab es allerdings eine ganze Reihe von Lehrern, die zum Allgemeinwohl
beitrugen, doch im Laufe der Jahrtausende blieb nichts von alledem. Daher
sollte die Lehre Gotamas als die erste Lehre von den
Gesetzen der Materie und der Evolution der Welt anerkannt werden.
Das Verständnis, das man heute
von der Gemeinschaft hat, ermöglicht es, eine wunderbare
Brücke von Gotama Buddha bis zur Jetztzeit zu bauen.
Wir wollen mit diesen Worten weder etwas auf- noch abwerten, sondern eine
offensichtliche und unabänderliche Tatsache feststellen.
Das Gesetz der Furchtlosigkeit,
das Gesetz des Verzichts auf Eigentum, das Gesetz der Wertschätzung der Arbeit,
das Gesetz der Menschenwürde, das jenseits von Kasten oder äußeren
Unterschieden gilt, das Gesetz wahren Wissens und das Gesetz der auf
Selbsterkenntnis beruhenden Liebe machen aus den Vermächtnissen des Lehrers
einen fortwährenden Regenbogen der Freude für die Menschheit.
Wir wollen die Grundlagen des
Buddhismus aus den Offenbarungen herausarbeiten. Die einfache Lehre, die in
ihrer Schönheit dem Kosmos gleicht, wird jede Vermutung der Vergötterung
entkräften, die dem großen Lehrer der Menschheit unwürdig ist.
Wissen war der leitende Weg aller
großen Lehrer. Wissen ermöglicht einen freien und lebendigen Zugang zur großen
Lehre, die so wirklich ist wie die große MATERIE selbst.
Wir wollen nicht bis zu den
letzten Einzelheiten vordringen, sondern kurz über die Grundlagen sprechen, die
nicht geleugnet werden können.
Freude allen Menschen! Freude
allen Schaffenden!
Die Grundlagen des
Buddhismus
Wenn man die Grundlagen des
Buddhismus erforschen will, darf man sich nicht nur an die späteren
Verwicklungen und Verzweigungen halten. Es ist wichtig zu wissen, daß im buddhistischen Bewußtsein
der Gedanke der Reinigung der Lehre immer lebendig bleibt. Bald nach dem
Ableben des Lehrers fanden die gefeierten Konzile in Rajagriha
statt, und später die Konzile in Vaisali und Patna,
die die ursprüngliche Schlichtheit der Lehre wiederherstellten.
Die wichtigsten bestehenden
Schulen des Buddhismus sind: das Mahayana (in Tibet, der Mongolei, bei den Kalmücken,
Buriaten, in China, Japan, Nordindien) und das
Hinayana (Indochina, Burma, Siam, Ceylon und Indien). Beide Schulen beziehen
sich gleich stark auf die Eigenschaften des großen Lehrers.
Die Eigenschaften des Buddha
sind: Muni = der Weise, aus dem Geschlecht der Sakyer; Sakya Simha
= Sakya, der Löwe; Bhagavat
= der Gesegnete; Sadhu = der Lehrer; Jina = der
Eroberer; der Herrscher des wohltätigen Gesetzes.
Von ungewöhnlicher Schönheit ist
die Ankunft des Königs in der Gestalt eines großen Bettelmönchs. „Ziehet aus,
ihr Bettelmönche, bringet den Menschen Rettung und Wohltat." Dieses Gebot
des Buddha und die Bezeichnung Bettelmönch
beinhalten alles.
Versteht man die Lehre des
Buddha, so wird einem bewußt, woher die Behauptung
der Buddhisten stammt: „Buddha ist ein Mensch!" Seine Lehre des Lebens ist
über jedes Vorurteil erhaben. Für ihn gibt es keinen Tempel, wohl aber eine
Stätte der Versammlung und des Wissens – das tibetanische du-khang und tsug-lag-khang.
Buddha bestritt den herkömmlichen
Gottesbegriff und verneinte die Existenz einer ewigen und unveränderlichen
Seele. Buddha gab dieLehre für den Alltag. Er kämpfte
gegen Besitz und Eigentum. Persönlich bekämpfte er den Fanatismus der Kasten
und die Vorrechte der Klassen. Er betonte den Wert des zuverlässigen Erfahrungswissens
und der Arbeit. Buddha gebot, das Leben im Universum in seiner vollen
Wirklichkeit zu studieren. Buddha legte den Grundstein für die Gemeinschaft und
sah gleichzeitig den Sieg der Weltgemeinschaft voraus.
Hunderte Millionen von
Buddha-Verehrern sind über die ganze Welt verstreut, und jeder von ihnen
versichert: „Ich suche Zuflucht in Buddha, ich suche Zuflucht in der Lehre, ich
suche Zuflucht in der Gemeinschaft (Sangha)."
* * *
Aus den schriftlichen,
buddhistischen Überlieferungen und unseren gegenwärtigen Forschungen haben wir
eine Reihe von Einzelheiten über das Leben des Gotama
Buddha zusammengestellt.
Buddhas Tod wird von manchen
Forschern mit dem Jahr 483 v. Chr. angegeben. Nach den singhalesischen
Chroniken lebte Buddha von 621–543 v. Chr., doch in chinesischen Chroniken
scheint die Geburt des Buddha mit dem Jahr 1024 v. Chr. auf. Das Alter des
Lehrers bei seinem Tod wird mit ungefähr 80 Jahren angegeben. Als Geburtsort
wird Kapilavastu im nepalesischen Terai
genannt. Das königliche Geschlecht der Sakyer, dem Gotama angehörte, ist bekannt.
Zweifellos wurden alle Biographien des großen Lehrers von seinen Zeitgenossen und
Anhängern sehr genau ausgearbeitet, was besonders auf die Schriften jüngeren
Datums zutrifft, doch um die Färbung und den Charakter der Epoche zu wahren,
müssen wir uns weitgehend auf die überlieferten Ausführungen beziehen.
* * *
Nach den
Überlieferungen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. befand sich das Gebiet von Kapilavastu in Nordindien, am Fuß des
Himalaja, und war von zahlreichen Stämmen der Sakyer,
Abkömmlinge von Ikshvaku aus der Sonnenrasse der Kshatriyas,
bevölkert. Sie wurden vom Stammesältesten regiert, der in der Stadt Kapilavastu residierte, von der keine Spuren übriggeblieben
sind, da sie bereits zur Zeit Buddhas durch einen feindlichen Nachbarkönig
zerstört wurde. Zu dieser Zeit regierte Suddhodana,
der letzte direkte Abkömmling von Ikshvaku, in Kapilavastu. Von diesem König und der Königin Maya wurde
der künftige große Lehrer gezeugt, der den Namen Siddharta erhielt, was soviel bedeutet wie „Er, der seiner Aufgabe gerecht
wurde".
Visionen und Prophezeiungen
gingen der Geburt voraus, und das Ereignis selbst, am Vollmondtag im Mai, wurde
von allen günstigen Zeichen am Himmel und auf Erden begleitet. So machte sich
der im Himalaja lebende, große Rishi Asita, da er von
den Devas erfahren hatte, daß ein Bodhisattva, der
künftige Buddha, der Welt der Menschen im Lumbini
Hain geboren worden sei und daß er das Rad der
Heilslehre drehen werde, sofort auf den Weg, um dem künftigen Menschheitslehrer
zu huldigen. Als er im Palast des Königs Suddhodana
ankam, äußerte er den Wunsch, den neugeborenen Bodhisattva sehen zu dürfen. Der
König befahl, dem Rishi, dessen Segen er erhoffte,
das Kind zu bringen. Doch als der Rishi das Kind sah,
lächelte er zuerst, und dann brach er in Tränen aus. Besorgt fragte ihn der
König nach dem Grund seines Grams und ob er ein unheilvolles Zeichen für seinen
Sohn gesehen habe? Darauf antwortete der Rishi, daß er nichts Nachteiliges für das Kind sähe. Er würde sich
freuen, weil der Bodhisattva volle Erleuchtung erlangen und ein großer Buddha
werden würde, und er würde sich grämen, weil es ihm selbst nicht mehr vergönnt
sei, so lange zu leben, um die Verkündung der großen Lehre zu vernehmen.
Königin Maya starb nach der
Geburt des großen Bodhisattva, und das Kind wurde in die Obhut ihrer Schwester Prajapati gegeben. In der buddhistischen Geschichte ist sie
als erste Schülerin Buddhas sowie als Gründerin und Oberhaupt einer Bhikshuni-Gemeinde bekannt.
* * *
Am fünften Tag nach der Geburt
wurden, wie die Weden berichten, einhundertacht
Brahmanen von König Suddhodana in den Palast gebeten.
Sie sollten dem neugeborenen Prinzen einen Namen geben und aus der Stellung der
Gestirne sein Schicksal lesen. Acht der gelehrtesten sagten voraus: „Wem solche
Sternzeichen gegeben sind wie dem Prinzen, der wird entweder ein universeller
Monarch, ein Cakravartin oder, wenn er sich von der
Welt zurückzieht, ein Buddha, der den Schleier der Unwissenheit von den Augen
der Welt entfernt."
Der achte und jüngste der
Brahmanen fügte hinzu: „Der Prinz wird die Welt verlassen, nachdem er vier
Zeichen gesehen hat: einen Greis, einen kranken Mann, einen Leichnam und einen
Einsiedler."
* * *
Der König, der seinen Sohn und
Erben behalten wollte, traf alle Maßnahmen und Vorkehrungen, um dies
sicherzustellen. Er umgab den Prinzen mit allem Prunk und allen Vergnügungen,
die ihm als König möglich waren. Viele Umstände weisen darauf hin, daß der Prinz Siddharta eine ausgezeichnete Erziehung genoß, da Wissen als solches zur damaligen Zeit sehr
geschätzt wurde; und nach einer Aufzeichnung im Buddhacarita
von Asvaghosha erhielt die Stadt Kapilavastu
ihren Namen zu Ehren des großen Kapila, des Gründers
der Sankhya-Philosophie.
Manches Echo dieser Philosophie
klingt in der Lehre des Gesegneten nach.
* * *
Zum besseren Verständnis ist im
Kanon die Schilderung des prunkvollen Lebens am Hof Suddhodanas
in die Worte des Buddha gekleidet:
„Ich war zärtlich umhegt, Bhikshus, ja aufs äußerste, unbegrenzte. Im Palast meines
Vaters wurden für mich Lotosteiche angelegt, an einer Stelle für blaue
Lotosblumen, an einer anderen für weiße und wieder an einer anderen Stelle für
rote Lotosblumen, die für mich blühten. Ich benutzte nur Sandelöl aus Benares;
aus Benaresstoffen waren meine drei Gewänder. Tag und
Nacht wurde ein weißer Schirm über mich gehalten, damit ich nicht von Kälte,
Hitze, Staub, Gräsern oder Regen belästigt wurde. Bhikshus,
ich wohnte in drei Palästen: im einen im Winter, im anderen im Sommer und im
dritten während der Regenzeit. Im Palast für die Regenzeit war ich von
Musikern, Sängern und Tänzerinnen umgeben, und vier Monate verließ ich den
Palast nicht. Bhikshus, in anderen Reichen bekamen
die Diener und Knechte nur ein Gericht aus rotem Reis und Reissuppe, doch in
meines Vaters Haus reichte man den Dienern und Knechten nicht nur Reis, sondern
ein Gericht aus Reis und Fleisch."
Doch dieses prunkvolle und
sorglose Leben konnte den großen Geist nicht befriedigen. Den ältesten
Überlieferungen zufolge erwachte sein Verständnis für die Leiden und das Elend
der Menschheit sowie für die Existenzprobleme viel früher, als in späteren
Schriften behauptet wird.
So wird im Anguttara-Nikaya,
anscheinend in Buddhas eigenen Worten, zitiert: „Beschenkt mit solchem
Reichtum, aufgewachsen in solcher Behütetheit, erwachte der Gedanke: Wahrlich,
der unerleuchtete Weltmensch, der dem Alter unterworfen ist, ohne ihm entkommen
zu können, ist bedrückt, wenn er andere alt werden sieht. Auch ich bin dem
Alter unterworfen und kann ihm nicht entrinnen. Sehe ich, der ich dem allen unterworfen
bin, einen anderen, der alt, traurig, gepeinigt und krank ist, so erkenne ich,
wie es um mich bestellt ist." (Das gleiche wiederholt sich bei Krankheit
und Tod). „Ich dachte darüber nach, und mein ganzer jugendlicher Stolz
verschwand."
* * *
Schon in frühester Kindheit
zeigte der Bodhisattva ungewöhnliches Mitleid und Feingefühl für seine
Umgebung. Nach dem Mahavastu
wurde der Bodhisattva einmal vom König und seinem Gefolge in den Park
mitgenommen. Er war alt genug, um allein umherzuwandern, und kam zu einem Dorf,
wo er einen Frosch und eine Schlange sah, die der Pflug freigab. Der Frosch
wurde als Nahrung mitgenommen und die Schlange weggeworfen. Dies bestürzte den
Bodhisattva sehr. Er war von Trauer erfüllt und empfand äußerstes Mitleid. Da er
in Ruhe nachdenken wollte, ging er zu einem alleinstehenden Rosenapfelbaum,
setzte sich auf den Boden, bedeckte sich mit Blättern und versank in
Meditation. Sein Vater ängstigte sich sehr, weil er ihn nicht finden konnte.
Ein Hofdiener fand ihn, tief in Gedanken versunken, im Schatten des
Rosenapfelbaums.
* * *
Ein anderes Mal sah er Arbeiter,
mit ungekämmten Haaren, barfuß, schmierig und in Schweiß gebadet, die mit
eisernen Stachelstöcken die Arbeitsochsen antrieben. Die Rücken und Rümpfe der
Ochsen waren blutüberströmt, niedergedrückt von ihrem Joch keuchten sie dahin,
und ihr Herz schlug sehr schnell. Sie waren von Fliegen und Insekten zerbissen,
aufgeschlitzt vom Pflugteil und mit blutenden und eiternden Wunden bedeckt. Siddhartas weiches Herz wurde von Mitgefühl überwältigt.
„Wem gehört ihr?" fragte er
die Pflüger.
„Wir gehören dem König",
antworteten sie.
„Ab heute seid ihr nicht mehr
Sklaven, ihr sollt nicht länger Diener sein. Geht, wohin es euch beliebt, und
lebt in Freude."
Er befreite auch die Ochsen und
sagte zu ihnen: „Geht! Freßt ab heute das süßeste
Gras und trinkt das reinste Wasser und möge euch der Wind aus den vier
Himmelsrichtungen erfrischen." Dann erblickte er einen schattigen Jambu-Baum, setzte sich darunter und gab sich ernster
Meditation hin.
* * *
Devadatta sah eine Gans über sich fliegen
und schoß sie ab; sie fiel in den Garten des
Bodhisattva, der sie aufhob, ihr den Pfeil aus dem Gefieder zog und die Wunde
verband. Devadatta sandte einen Boten; der den Vogel
abholen sollte, doch der Bodhisattva weigerte sich, ihn herauszugeben, und
sagte: „Er gehört dem, der ihn gerettet hat, nicht dem, der ihm nach dem Leben
trachtete."
* * *
Als der Prinz das sechzehnte
Lebensjahr erreicht hatte, mußte er gemäß den Sitten
seines Landes eine Gattin wählen, nachdem er als Sieger aus dem Wettkampf von Svayamvara hervorgegangen war. Er wählte die Prinzessin Yasodhara aus demselben Sakyerstamm.
Sie gebar ihm den Sohn Rahula, der später Schüler
seines Vaters wurde und die Stufe eines Archaten erreichte.
* * *
Doch persönliches Glück, so groß
es auch war, konnte den eifrig strebenden Geist des Bodhisattva nicht
befriedigen. Sein Herz empfand weiterhin das ganze Leid seiner Mitmenschen, und
sein Verstand, der die Vergänglichkeit alles Seienden erkannt hatte, fand keine
Ruhe. Er stürmte wie ein von Giftspeeren durchbohrter Löwe durch die Hallen
seines Palastes und stöhnte voller Schmerz: „Die Welt ist voll von Finsternis
und Unwissenheit, und niemand weiß, wie man die Leiden des Daseins heilen
kann."
Dieser Geisteszustand ist in den
vier vorherbestimmten Begegnungen symbolisch beschrieben, nach denen er sein
Königreich verließ und versuchte, die Welt von ihrem Elend zu befreien. In
einer alten Biographie in Versen findet man nach der
dritten Begegnung eine Anmerkung, die besagt, daß nur
der Bodhisattva und sein Wagenlenker den Leichnam, der über die Straße getragen
wurde, gesehen haben. Nach diesem Sutra
hatte der Prinz gerade sein neunundzwanzigstes Lebensjahr vollendet.
Eines Tages bat der Prinz seinen
Wagenlenker Chandaka, ihn in den Park zu fahren. Dort
sah er einen alten Mann, und der Wagenlenker erklärte ihm, was Alter bedeutet
und daß ihm alle unterworfen sind. Tief beeindruckt
kehrte der Prinz um und fuhr nach Hause. Kurze Zeit später, als er wieder
ausfuhr, begegnete er einem Kranken, der nach Atem rang; sein Körper war
entstellt, verkrampft und von Schmerzen geschüttelt; der Wagenlenker erklärte
dem Prinzen, was Krankheit bedeutet und daß ihr alle
Menschen ausgesetzt sind. Und wieder begab er sich nach Hause. Alle
Vergnügungen erschienen ihm schal und die Freuden des Lebens widerlich.
Ein anderes Mal begegnete er
einer Prozession mit Lichtfackeln, die eine Sänfte trug, auf der etwas in ein
Leinentuch gehüllt war. Die Frauen, die den Zug begleiteten, hatten aufgelöste
Haare und weinten jämmerlich – es war ein Leichnam, und Chandaka
sagte, alle würden diesen Zustand erreichen. Und der Prinz rief aus: „O, ihr
Erdenmenschen! Wie verhängnisvoll ist eure Verblendung! Euer Körper wird
unweigerlich zu Staub zerfallen, und dennoch lebt ihr unbekümmert und sorglos
dahin." Als der Wagenlenker bemerkte, wie tief dieser Anblick den Prinzen
beeindruckt hatte, wendete er seine Pferde und fuhr zurück in die Stadt.
Ein anderer Zwischenfall, der dem
Prinzen widerfuhr, schien ihm die Lösung aller Probleme anzudeuten. Als sie an
den Palästen der Adeligen vorbeikamen, sah eine Sakyer-Prinzessin
den Prinzen vom Balkon ihres Palastes aus und grüßte ihn mit einem Spruch, in
dem sich das Wort Nibutta
(Nirwana) in jeder Zeile wiederholte; er lautet:
„Selig der Vater, der Dich zeugte,
Selig die Mutter,
die Dich nährte,
Selig das Weib,
das diesen so glorreichen Herrn Ehegatten nennt,
Sie hat das Leid
überwunden."
Als der Prinz das Wort Nibutta vernahm,
löste er eine kostbare Perlenkette von seinem Hals und schickte sie der
Prinzessin als Belohnung für ihre Weisung. Er dachte: „Selig sind jene, die
Befreiung gefunden haben. Da sich mein Geist nach Frieden sehnt, will ich den
Segen Nirwanas suchen."
In der selben Nacht träumte Yasodhara,
daß der Prinz sie verließ; sie erwachte und erzählte
ihm ihren Traum. „Mein Herr, wohin Du gehst,, laß auch mich gehen." Und er, der daran dachte,
dorthin zu gehen, wo es keine Sorgen gibt, antwortete: „So sei es, wohin auch
immer ich gehe, mögest auch du hingehen."
Nach der Rückkehr des Buddha
wurden Yasodhara und seine Ziehmutter Prajapati seine ersten Schülerinnen.
Es war Nacht. Der Prinz konnte
keinen Schlaf finden. Darum stand er auf und ging in den Garten. Er setzte sich
unter den großen Jambu-Baum und gab sich seinen
Gedanken hin, dachte über das Leben nach, über den Tod und das Übel des
Zerfalls. Er sammelte seine Gedanken, wurde frei von Verwirrung, und völlige
Ruhe überkam ihn. In diesem Zustand öffnete sich sein geistiges Auge, und er
erblickte eine erhabene Gestalt, die Ruhe und Würde ausstrahlte. „Woher kommst
du, und wer bist du ?" fragte der Prinz. Die
Gestalt antwortete: „Ich bin ein Sramane. Voller
Sorge durch die Gedanken an Alter, Krankheit und Tod verließ ich mein Heim und
suche nun den Pfad der Erlösung. Alle Dinge nähern sich dem Zerfall; nur die
Wahrheit besteht für immer. Alles verändert sich, und es gibt keine Dauer; doch
die Worte der Buddhas sind unvergänglich."
Siddhartha fragte: „Kann denn in
dieser Welt der Sorge Frieden erlangt werden? Ich bin betroffen von der Leere
der Vergnügungen, und zügellose Begierden widern mich an. Das alles bedrückt
mich, und das Dasein selbst scheint mir unerträglich."
Der Sramane
antwortete: „Wo Wärme ist, da kann es auch Kälte geben. Die Geschöpfe, die dem
Leid unterworfen sind, können sich auch freuen. Der Ursprung des Bösen zeigt, daß das Gute entwickelt werden kann. Denn diese Begriffe
bedingen einander. So gibt es dort, wo viel Leid ist, auch viel Segen, wenn Du
nur Deine Augen öffnest, um das zu erkennen. So wie der Mensch, der in einen
Haufen Unrat fiel, den nahen, mit Lotosblüten bedeckten Teich suchen sollte, so
suche Du den großen, unsterblichen See des Nirwana, um den Schmutz der Sünde
abzuwaschen. Wird aber nach dem See nicht gesucht, so ist es nicht seine
Schuld. Genauso ist es nicht die Schuld des Weges, sondern die des Menschen,
wenn er, der durch die Sünde gefesselt ist, den gesegneten Weg, der ihn zur
Erlösung des Nirwana führt, nicht beschreitet. Und nimmt ein Kranker die Hilfe
eines Arztes, der ihn heilen könnte, nicht in Anspruch, so ist es nicht die
Schuld des Arztes. Sucht ein Mensch, der an der Krankheit der Sünde leidet,
nicht den geistigen Führer der Erleuchtung, so ist es nicht die Schuld des die
Sünden abwehrenden Führers."
Der Prinz lauschte diesen weisen
Worten und sagte: „Ich weiß, daß sich mein Zweck
erfüllen wird, doch mein Vater hält mich für zu jung und lebhaft, um das Leben
eines Sramanen zu führen."
Die ehrwürdige Gestalt
antwortete: „Du solltest wissen, daß für die Suche
nach Wahrheit keine Zeit ungelegen ist."
Ein Freudenstrahl durchdrang
Siddharthas Herz. „Jetzt ist die Zeit, die Wahrheit zu suchen. Jetzt ist es
Zeit, alle Bande zu lösen, die mich davon abhalten könnten, vollkommene
Erleuchtung zu erlangen."
Der Himmelsbote vernahm den Entschluß Siddharthas mit Befriedigung: „Geh hin,
Siddhartha, und erfülle Deinen Auftrag. Denn Du bist Bodhisattva, der erwählte
Buddha; Dir ist es bestimmt, die Welt zu erleuchten. Du bist der Tathagata, der Vollendete, denn Du wirst Rechtschaffenheit
vorleben und Dharma-raja sein, der König der
Wahrheit. Du bist Bhagavat, der Gesegnete, denn Du
bist berufen, der Retter und Erlöser der Welt zu sein.
Vollende die Wahrheit! Wenngleich
der Blitz auf Dein Haupt niedergeht, gib den Verlockungen nicht nach, die den
Menschen vom Pfad der Wahrheit ablenken. Wie die Sonne zu allen Zeiten ihren
eigenen Lauf fortsetzt, ohne einen anderen zu suchen, so wirst Du, wenn Du den
direkten Pfad der Rechtschaffenheit nicht verläßt,
ein Buddha werden.
Harre aus in Deinem Suchen – und
Du wirst finden, was Du suchst. Verfolge unerschütterlich Dein Ziel, und Du
wirst siegen. Der Segen aller Gottheiten, all derer, die das Licht suchen, ist
mit Dir, und himmlische Weisheit leitet deine Schritte. Du wirst der Buddha
sein, Du wirst die Welt erleuchten und die Menschheit vor dem Untergang
retten."
Nach diesen Worten verschwand die
Vision, und Siddharthas Seele war von Ekstase erfüllt. Er sagte zu sich selbst:
„Mir ist die Wahrheit bewußt geworden, und ich bin
entschlossen, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich will alle Bande lösen, die mich an
die Welt binden und will mein Heim verlassen, um den Weg der Erlösung zu
suchen. Wahrlich, ich werde ein Buddha."
Der Prinz kehrte zum Palast
zurück, für einen letzten Blick des Abschieds von jenen, die er mehr als alle
Schätze der Erde liebte. Er begab sich zu den Räumlichkeiten der Mutter Rahulas und öffnete die Tür zu Yasodharas
Gemach. Dort brannte eine Lampe mit wohlriechendem Öl. Auf dem mit Jasmin
bestreuten Bett schlief Yasodhara, die Mutter Rahulas, die Hand auf dem Kopf ihres Sohnes. Der Bodhisattva
stand an der Türschwelle, betrachtete sie und wurde sehr traurig. Der Schmerz
des Abschieds traf ihn hart. Doch nichts konnte seinen Entschluß
erschüttern, mutigen Herzens bezwang er seine Gefühle und riß
sich los. Er bestieg seine Stute Kanthaka und ritt durch das weit geöffnete Palasttor in die stille Nacht, nur von seinem treuen Wagenlenker Chandaka begleitet. So entsagte Siddhartha, der Prinz, den
weltlichen Freuden, gab sein Königtum auf, löste alle Bande und wurde
heimatlos. Bis heute haben vier Stätten in Indien die der Lehre des Gesegneten
Buddha ergebenen Pilger angezogen. Sein Geburtsort Kapilavastu
war eine in Nordindien am Fuße des Himalaja gelegene Stadt, am Ursprung des
Flusses Gandak; sie wurde noch zu Lebzeiten Buddhas
zerstört; die Stelle seiner Erleuchtung, Buddhagaya,
wo sich der oft erwähnte Hain Uruvela befand, in
dessen Schatten Gotama alle seine Errungenschaften in
höchster Erleuchtung vereinte; die Stätte seiner ersten Predigt, Sarnath (bei Benares), wo Buddha der Legende nach das Rad
des Gesetzes in Bewegung setzte. Diese Stätte zeigt noch Spuren von Überresten
der ältesten Gemeinschaften. Und seine Todesstätte Kusinara
(Nepal). In den Aufzeichnungen des chinesischen Reisenden FaHsien
(392–414 n. Chr.), der auch Indien besuchte, finden wir eine Beschreibung des
Gebietes von Kapilavastu sowie von anderen verehrten
Stätten.
Trotz dieser Tatsachen, trotz der
alten Säulen von König Asoka gibt es manche, die aus Buddha einen Mythos machen
wollen und dieser wertvollen Lehre ihre Authentizität absprechen. Der
französische Schriftsteller Senart behauptet in einem
seiner Werke, daß Buddha ein Sonnenmythos war. Doch
die Wissenschaft hat auch hier die Existenz des Lehrers Gotama
Buddha als Mensch nachgewiesen. Sowohl die Urne mit einem Teil der Asche und
Gebeine Buddhas, die man in Piprawa (Nepal-Terai) fand und die mit einem Datum und einer Inschrift
versehen ist, als auch eine historische Urne mit Überresten des Lehrers,
begraben von König Kanishka und gefunden nahe
Peshawar, bezeugen eindeutig den Tod des ersten Lehrers der Weltgemeinschaft – Gotama Buddha.
Man darf nicht glauben, daß Buddha sein Leben in allgemeiner Anerkennung und Ruhe
verbracht hat. Im Gegenteil, es gibt Anzeichen für Verleumdung und Hindernisse
aller Art, die den Lehrer in seinem Kämpfertum aber
nur stärkten und damit die Bedeutung seiner Errungenschaften vermehrten. Viele
Begebenheiten zeigen die Feindseligkeit, die ihm die Asketen und Brahmanen
entgegenbrachten. Die Asketen haßten ihn, weil er
ihren Fanatismus tadelte, und die Brahmanen zürnten ihm, weil er ihnen soziale
Vorrechte verweigerte und ihnen die Kenntnis der Wahrheit allein aufgrund ihrer
Geburt absprach. Den Asketen sagte er: „Wenn man nur durch Verzicht auf Nahrung
und menschliche Lebensbedingungen Vervollkommnung und Befreiung von den den Menschen an die Erde fesselnden Banden erlangen könnte,
dann hätten ein Pferd oder eine Kuh sie längst erreicht."
Den Brahmanen sagte er: „Durch
seine Taten wird ein Mensch ein Paria – durch seine Taten wird er ein Brahmane.
Das von einem Brahmanen entzündete Feuer hat die gleiche Flamme, Leuchtkraft
und das gleiche Licht wie das von einem Sudra
entzündete Feuer. Wohin hat euch eure Absonderung geführt? Um Brot zu
beschaffen, geht ihr auf den öffentlichen Markt und schätzt die Münzen aus der
Börse eines Sudra. Eure Absonderung kann nur als
Humbug bezeichnet werden, und eure scheinheiligen Verhaltensweisen sind nur ein
Mittel der Irreführung."
„Sind die Besitztümer der reichen
Brahmanen nicht eine Entweihung des Göttlichen Gesetzes? Für euch bedeutet der Süden
Licht und der Norden Dunkelheit. Es wird eine Zeit kommen, in der ich aus der
Mitternacht kommen werde und euer Licht ausgelöscht werden wird. Selbst die
Vögel fliegen nordwärts, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Sogar die
Graugänse kennen den Wert irdischen Besitzes. Aber der Brahmane ist darum
bemüht, seinen Gürtel mit Gold zu füllen und seine Schätze unter der Schwelle
seines Hauses zu horten. Brahmanen, ihr führt ein verachtenswertes Leben, und
euer Ende wird erbärmlich sein! Ihr werdet die ersten sein, die von Zerstörung
heimgesucht werden. Wenn ich nach Norden gehe, werde ich auch von dort
zurückkehren."
(Aus
mündlichen Überlieferungen von Buddhisten in Indien)
Es kam vor, daß
ein Großteil der Zuhörer Buddha nach seiner Ansprache verließ und der Gesegnete
sagte dann: „Die Spreu hat sich vom Korn getrennt; die bleibende Gemeinschaft,
die stark ist in ihrer Überzeugung, hat sich gebildet. Es ist gut, daß die Eitlen fortgegangen sind." Denken wir an den
Vorfall, als sein engster Schüler und Vertrauter Devadatta
den Gedanken faßte, auf den vorbeigehenden Lehrer
einen Stein zu werfen, und es ihm sogar gelang, dessen Zehe zu verletzen. Erinnern
wir uns auch an das grausame Schicksal, das seinen Stamm und sein Land durch
die Rache des benachbarten Königs heimsuchte. Die Legende berichtet, daß Buddha, der mit seinem Lieblingsschüler Ananda weit
entfernt von der Stadt weilte, beim Angriff auf sein Land heftige Kopfschmerzen
verspürte. Er legte sich auf den Boden und bedeckte sich mit seinem Gewand, um
vor dem einzigen Zeugen den Kummer zu verbergen, der sein unbeugsames Herz
überwältigte.
Auch von physischen Krankheiten
blieb Buddha nicht verschont. Heftige Rückenschmerzen werden oft erwähnt, und
sogar sein Tod war auf giftige Nahrung zurückzuführen. Alle diese Einzelheiten
lassen ihn uns sehr menschlich und vertraut erscheinen.
* * *
Das Wort Buddha ist kein Name, sondern bezeichnet den Zustand eines Geistes,
der die höchste Entwicklungsstufe erreicht hat; wörtlich übersetzt bedeutet es „der Erleuchtete" oder „der, welcher
vollkommenes Wissen und Weisheit besitzt".
Nach den Pali Sutten
nahm Buddha niemals Allwissenheit für sich in Anspruch, wie sie seine Schüler
und Anhänger ihm zuschrieben: „Jene, die dir sagten, Vaccha,
daß der Lehrer Gotama alles
wisse, alles sehe, sich unbegrenzte Kräfte der Voraussicht und des Wissens
zuschreibe und gesagt habe ,Ob in Bewegung oder Stillstand, wachend oder
schlafend, immer und überall herrscht Allwissenheit in mir', – diese Menschen
sagen nicht das, was ich gesagt habe; obwohl das nicht der Wahrheit entspricht,
klagen sie mich an."
Die Kräfte Buddhas haben mit
Wundern nichts gemein, denn ein Wunder ist ein Verstoß gegen die Gesetze der
Natur. Die höchste Macht des Buddha steht in vollem Einklang mit der ewigen
Ordnung der Dinge. Seine übermenschlichen Fähigkeiten sind allerdings wie ein
Wunder, zumindest insofern, als die Handlungen eines Menschen einem niedrigeren
Lebewesen als Wunder erscheinen müssen. Für die sich selbst aufopfernden
Helden, für die Kämpfer um wahres Wissen ist es ebenso natürlich, ihre
ungewöhnlichen Fähigkeiten zu offenbaren, wie für einen Vogel zu fliegen oder
für einen Fisch zu schwimmen. Nach einer Überlieferung ist Buddha „nur ein ,älterer Bruder' der Menschen, der sich von ihnen nicht
mehr unterscheidet als das zuerst ausgeschlüpfte Küken vom späteren Küken
derselben Henne". Sein Wissen hob ihn empor auf eine andere Stufe, denn
das Prinzip der Verschiedenartigkeit ruht in der Tiefe des Bewußtseins.
Die Menschlichkeit Gotama Buddhas wird in den
ältesten Schriften, aus denen folgender Ausspruch stammt, besonders
hervorgehoben: „Gotama Buddha ist der vollkommenste
der Zweibeiner."
Die Pali Sutten
enthalten viele lebendige Beschreibungen der hohen Eigenschaften des Lehrers Gotama, der den Weg aufgezeigt hat. Wir wollen einige
herausgreifen: „Er ist der Führer der Karawane, der Gründer, der Lehrer, der
unvergleichliche Erzieher der Menschen. Die Menschheit rollte wie das Rad eines
Wagens ihrer Vernichtung entgegen, verlassen, ohne Führer und Beschützer. Er
zeigte ihr den rechten Weg. Er ist der Herr des Gesetzes der Wohltätigkeit. Er
ist der Löwe des Gesetzes."
„Er ist ein wundersamer Arzt;
durch sein Mitleid heilt er schwer kranke Menschen."
„Der ehrwürdige Gotama ist der Mann am Pflug, sein Feld ist die
Unsterblichkeit."
„Er ist das Licht der Welt. Er
hebt den Menschen von der Erde empor. Er enthüllt, was verborgen ist. Er trägt
die Fackel in der Finsternis, damit jene, die Augen haben, sehen mögen; so
erleuchtet Gotama seine Lehre von allen Seiten."
„Er ist der Befreier. Er befreit,
weil er selbst befreit wurde." Seine Moral und seine geistige
Vollkommenheit bezeugen die Wahrheit seiner Lehre; und die Macht seines
Einflusses auf jene, die ihn umgaben, beruhte auf dem Beispiel seines
persönlichen Wirkens.
Alte Schriften betonen immer die
grundlegende Anwendbarkeit seiner Lehre. Gotama
entfernte sich nicht vom Leben, sondern er nahm am Alltagsleben der Arbeiter
teil. Er bemühte sich, ihnen seine Lehre näherzubringen, ermöglichte ihnen die
Teilnahme in seinen Gemeinschaften, nahm ihre Einladungen an und scheute sich
nicht, Kurtisanen und Rajas aufzusuchen – die beiden Zentren sozialen Lebens in
den indischen Städten. Er vermied es, die traditionellen Bräuche unnötig zu
verletzen. Darüber hinaus suchte er die Möglichkeit, diesen Menschen seine
Lehre näherzubringen, und fand Unterstützung hierfür in einer besonders in
Ehren gehaltenen Tradition, die im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien
stand.
In seiner Lehre gab es nichts
Abstraktes. Er sah im Ideal mystischen und transzendenten Lebens niemals einen
Gegensatz zur bestehenden Wirklichkeit. Er hob die Wirklichkeit aller
bestehenden Dinge und Umstände für den gegenwärtigen Augenblick hervor. Sein
Denken und Handeln befaßte sich hauptsächlich mit den
Lebensumständen. Den Inhalt seiner Reden und Gleichnisse entnahm er dem
Alltagsleben, wobei er die einfachsten Bilder und Vergleiche benützte.
Von dem Standpunkt ausgehend, daß Natur und menschliches Leben eine Parallele bilden,
glauben die Hindu-Denker, daß uns die
Erscheinungen der Natur viele Dinge in den Erscheinungen des Lebens erklären
können. Indem Buddha diese Methode in seiner Lehre anwandte, bewahrte er die
Erfahrung dieser alten Tradition. „Ich werde es dir durch ein Gleichnis
erklären, denn bei vielen rationalen Menschen kann durch Gleichnisse
Verständnis erweckt werden." Das waren die üblichen Worte Buddhas, und
diese einfache, lebensnahe Einführung verlieh seiner Lehre Lebendigkeit und
Überzeugungskraft.
Sein Einfluß
auf die Menschen entsprach seinem Glauben an sich selbst, an seine Macht und
seine Mission. Er paßte sich stets der Situation des
einzelnen Schülers und Zuhörers an und vermittelte ihnen ihrem Verständnis
entsprechend das Wichtigste. Weder belastete er seine Schüler und Zuhörer, die
für die Aufnahme des höchsten Wissens noch nicht reif waren, mit schwierigen
intellektuellen Denkvorgängen, noch ermutigte er jene, die nach abstraktem
Wissen suchten, ohne seine höchst ethische Lehre im Leben zu befolgen. Als
einmal so ein Mann mit Namen Malunkya den Gesegneten
nach dem Ursprung der Dinge fragte, blieb dieser stumm, denn er hielt es für
die wichtigste Aufgabe, die Realität unserer Umgebung zu bejahen; das bedeutet,
die Dinge so zu sehen, wie sie um uns herum existieren, und zuerst zu versuchen,
sie zu vervollkommnen und ihre Evolution zu beschleunigen, und nicht Zeit mit
intellektueller Spekulation zu verschwenden. Buddhas Wissen war sicherlich
nicht auf seine Lehre beschränkt, doch eine gewisse Vorsicht, die auf großer
Weisheit beruhte, ließ ihn zögern, Gedanken preiszugeben, die, wenn sie mißverstanden werden, verhängnisvoll sein könnten.
Einmal verweilte der Gesegnete im
Simsapa-Hain bei Kausambi,
nahm einige Blätter Simsapa in die Hand und sagte zu
seinen Schülern: „Was denkt ihr, meine Schüler, ist mehr, die Blätter in meiner
Hand oder die restlichen Blätter oben im Simsapa-Hain?"
„Die Blätter, die der Gesegnete
in seiner Hand hält, sind von geringer Zahl, weit mehr gibt es über uns im Simsapa-Hain."
„Genauso ist das, Schüler, was
ich wahrgenommen und euch nicht mitgeteilt habe, ist weit mehr als das, was ich
euch mitgeteilt habe. Und warum, Schüler, habe ich euch dies nicht enthüllt?
Weil es für euch nicht von Nutzen wäre, weil es nicht zu einem höheren Leben
beiträgt, weil es nicht zur Abkehr von der irdischen Welt führt, weil es nicht
zur Vernichtung der Begierden, zur Beendigung des Vergänglichen, nicht zu
Frieden, höherem Wissen, zum Erwachen, zu Nirwana führt. Darum habe ich euch
nicht davon erzählt. Und was habe ich euch mitgeteilt? Das, was Leiden ist, die
Quelle des Leidens, das Ende des Leidens und den Weg, der zum Ende des Leidens
führt."
Und seine Lehre war in jedem
Einzelfall so persönlich und praktisch, daß drei
Gruppen eingerichtet wurden, in denen die Lehre vermittelt wurde: je ein Kreis
für die Auserwählten, die Mitglieder der Gemeinschaft und die Allgemeinheit.
Durch die Gründung seiner
Gemeinschaften versuchte Buddha, die besten Bedingungen für jene zu schaffen,
die fest entschlossen waren, an ihrer Bewußtseinserweiterung
zu arbeiten, um höheres Wissen zu erlangen. Dann sandte er sie aus als Lehrer
des Lebens, als Verkünder einer Weltgemeinschaft.
Die von seinen Schülern
geforderte, ständige Selbstdisziplin in Gedanken, Worten und Taten, ohne die es
auf dem Weg der Vervollkommnung keinen Fortschritt geben kann, ist fast
unerreichbar für jene, die unter gewöhnlichen Bedingungen leben, wo Tausende
von äußeren Umständen und kleine Verpflichtungen den Bestrebten ständig von
seinem Ziel ablenken. Doch das Leben unter Menschen, die durch das gleiche
Streben, gemeinsame Gedanken und Gewohnheiten verbunden sind, war eine große
Hilfe, denn es bot die Möglichkeit, sich ohne Energieverlust in die gewünschte
Richtung zu entwickeln.
Buddha – der lehrte, daß im ganzen Universum alles in Wechselbeziehung steht;
der wußte, daß ohne
Zusammenarbeit nichts bestehen kann; der erkannte, daß
der Selbstsüchtige und Eingebildete die Zukunft nicht aufbauen kann, da er sich
aufgrund des kosmischen Gesetzes außerhalb des Lebensstroms befindet, der
alles, was existiert, der Vervollkommnung entgegenträgt, – streute seine Saat
geduldig aus, errichtete die Zellen auf gemeinschaftlicher Basis und sah in ferner
Zukunft die Verwirklichung der großen Weltgemeinschaft voraus.
Die Einhaltung zweier Regeln war
für die Aufnahme in die Gemeinschaft erforderlich: sittliche Reinheit und
völliger Verzicht auf persönliches Eigentum. Die übrigen Regeln betrafen
strenge Selbstdisziplin und Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft. Jeder, der
in die Gemeinschaft eintrat, sprach den Satz: „Ich suche Zuflucht in Buddha,
ich suche Zuflucht in der Lehre, ich suche Zuflucht in der Gemeinschaft, die
meine Furcht vernichtet." Das erste bezieht sich auf seine Lehre, das
zweite auf die unwandelbare Wahrheit und das dritte auf das Beispiel des
erhabenen Gesetzes, das Buddha vertrat.
Der Verzicht auf Eigentum wurde
streng befolgt. Doch er mußte sich nicht so sehr
äußerlich zeigen, sondern ins Bewußtsein aufgenommen
werden.
Einmal fragte ein Schüler den Lehrer:
„Wie ist die Erfüllung des Gebotes betreffend den Verzicht auf Eigentum zu
verstehen? Ein Schüler entsagte allen Dingen, aber sein Lehrer tadelte ihn
trotzdem, ein anderer dagegen blieb von Dingen umgeben und verdiente keinen
Tadel?"
„Das Gefühl des Eigentums wird
nicht an den Dingen gemessen, sondern an den auf sie gerichteten Gedanken. Man
kann Dinge besitzen, ohne sich deshalb als Besitzer zu fühlen."
Buddha riet immer, möglichst
wenige Dinge zu besitzen, um ihnen nicht zu viel Zeit widmen zu müssen. Das
ganze Leben in der Gemeinschaft war strenger Disziplin unterworfen; die
Grundlage der Lehre Buddhas war eiserne Selbstdisziplin, um unkontrollierte
Gefühle und Gedanken zu zügeln und einen unbeugsamen Willen zu entwickeln. Erst
wenn der Schüler seine Gefühle beherrschte, hob der Lehrer ein wenig den
Schleier und teilte ihm eine Aufgabe zu. Erst dann wurde der Schüler allmählich
in die Tiefe des Wissens eingeführt. Aus solchen Menschen, die diszipliniert
und durch strengen Verzicht auf alles Persönliche geübt und daher stark und
furchtlos waren, wollte Gotama Buddha Arbeiter für
das Allgemeinwohl, Schöpfer des menschlichen Bewußtseins
und Vorläufer der Weltgemeinschaft machen.
In der Lehre Gotamas
war Mut ein wichtiger Bestandteil des Unterbaus von allen Errungenschaften. „Es
gibt kein wahres Mitgefühl ohne Mut. Selbstbeherrschung kann man ohne Mut nicht
erlernen. Geduld ist Mut. Ohne Mut kann man weder in die Tiefe wahren Wissens
eindringen noch die Weisheit eines Archaten erlangen." Gotama
verlangte von seinen Schülern vollkommene Überwindung der Furcht. Er forderte
sowohl Furchtlosigkeit des Gedankens als auch der Tat. Die Bezeichnung des Gotama als „Löwe" und seine persönliche Aufforderung,
alle Hindernisse wie ein Rhinozeros oder Elefant zu durchschreiten, zeigen,
welches Maß an Furchtlosigkeit er forderte. Daher kann die Lehre Gotamas vor allem als die „Lehre der Furchtlosigkeit"
bezeichnet werden.
„Krieger nennen wir uns, oh
Schüler,
weil wir Krieg führen.
Wir führen Krieg für erhabene Tugend,
für hohes Streben, für höchste Weisheit.
Daher nennt man uns Krieger."
Nach der Überlieferung erreichte Gotama die Erleuchtung durch die Enthüllung der
„Kausalketten" (zwölf Nidanas). Das Problem, das
ihn viele Jahre hindurch gequält hatte, war gelöst. Als er über Ursache und
Wirkung meditierte, erkannte Gotama die Quelle des
Übels:
12) Sein ist Leiden, denn es enthält Alter, Tod und
unendliches Leid.
11) Ich leide, weil ich geboren wurde.
10) Ich wurde geboren, weil ich zur Welt des Seins
gehöre.
9) Ich existiere, weil ich das Sein in mir nähre.
8) Ich nähre das
Sein, weil ich Begierden habe.
7) Ich habe
Begierden, weil ich Empfindungen habe.
6) Ich habe
Empfindungen, weil ich mit der Außenwelt in Berührung komme.
5) Die Berührung
erfolgt durch die Tätigkeit meiner sechs Sinne.
4) Meine Sinne treten in Erscheinung, weil
ich mich als
Persönlichkeit allem Unpersönlichen entgegenstelle:
3) Ich bin eine Persönlichkeit, weil ich ein Bewußtsein habe, das durchdrungen ist von dem Bewußtsein dieser Persönlichkeit.
2) Dieses Bewußtsein entstand auf Grund meiner früheren Existenzen.
1) Diese
Existenzen trübten mein Bewußtsein, weil ich unwissend war.
Üblicherweise werden diese zwölf
Lehrsätze in umgekehrter Reihenfolge angeführt:
1) Avidya (Finsternis, Unwissenheit)
2) Samskara (Karma)
3) Vijnana (Bewußtsein)
4) Nama-rupa (Form – das mit den Sinnen Erfaßbare und das nicht Erfaßbare)
5) Shad-ayatana (die sechs transzendenten Grundlagen der
Gefühle, Empfindungen)
6) Sparsa (die Berührung)
7) Vedana (Gefühle)
8) Trishna (Durst, Hunger)
9) Upadana (Bestrebungen, Bindungen)
10) Bhava (Sein)
11) Jati (Geburt)
12) Jara (Alter, Tod)
Demnach sind Finsternis und
Unwissenheit die grundlegenden Ursachen alles menschlichen Leids. Dem
entspringt auch Gotamas Definition und Verurteilung
der Unwissenheit. Er bezeichnet die Unwissenheit als das größte Übel, weil sie
die Ursache des menschlichen Leids ist, da sie uns dazu treibt, das zu
schätzen, was nicht schätzenswert ist; zu leiden, wo es kein Leid geben sollte;
Illusion für Wirklichkeit zu halten; sein Leben mit Bedeutungslosem zu
verbringen und zu vernachlässigen, was in Wirklichkeit das wertvollste ist: das
Wissen um das Mysterium menschlichen Seins und menschlicher Bestimmung.
Das Licht, das diese Finsternis
zerstreuen und vom Leid befreien kann, wurde von Gotama
Buddha als die Kenntnis der Vier Edlen Wahrheiten bezeichnet:
1) Das Leid inkarnierten
Seins, das durch die dauernde Wiederkehr von Tod und Geburt verursacht wird.
2) Die Ursache
dieses Leidens liegt in Unwissenheit, im Hunger nach Selbstbestätigung durch
irdischen Besitz, der die unaufhörliche Wiederholung unvollkommenen Seins nach
sich zieht.
3) Die Beendigung
des Leidens liegt im Erreichen eines erleuchteten Zustands, der alles in sich
miteinschließt, denn so entsteht die Möglichkeit, den Kreislauf irdischen Seins
bewußt zu beenden.
4) Der Weg zur
Beendigung dieser Leiden besteht im allmählichen Stärken der Fähigkeiten, die
notwendig sind, um die Ursachen der irdischen Existenz zu überwinden und sich
der großen Wahrheit zu nähern.
Der Weg zu dieser Wahrheit wurde von Gotama
achtfach unterteilt:
1) Rechtes Verstehen des Gesetzes von Ursache und Wirkung
2) Rechtes Denken
3) Rechtes Reden
4) Rechtes Handeln
5) Rechtes Leben
6) Rechte Arbeit
7) Rechte Wachsamkeit und Selbstdisziplin
8) Rechte Konzentration
Ein Mensch, der diese Regeln im
Leben befolgt, wird vom Leid irdischen Seins befreit, das nur die Folge von
Unwissenheit, Wünschen und Begierden ist. Gelingt diese Befreiung, hat man
Nirwana erreicht. Was ist Nirwana? „Nirwana trägt die Möglichkeit in sich, alle
Handlungen zu beinhalten und ist zugleich die Grenze des alles Einschließenden.
Das Beben der Erleuchtung zieht wahres Wissen an. Ruhe ist nur ein äußeres
Zeichen, sie bringt das Wesen dieses Zustands nicht zum Ausdruck." Unserem
derzeitigen Verständnis gemäß würden wir Nirwana als einen Zustand definieren,
in dem alle Bestandteile und Energien eines Individuums vollkommen sind und
dessen Intensität die Grenze des in der momentanen kosmischen Runde
Erreichbaren darstellt.
Gotama Buddha hob auch zehn große
Hindernisse hervor, die er als Fesseln bezeichnete:
1) Die Illusion
der Persönlichkeit
2) Zweifel
3) Aberglaube
4) Physische
Leidenschaften
5) Haß
6) Bindung an das
Irdische
7) Der Wunsch
nach Vergnügen und Nichtstun
8) Stolz
9)
Selbstzufriedenheit
10) Unwissenheit
Um höheres Wissen zu erlangen,
ist es nötig, diese Fesseln abzustreifen.
Im Buddhismus werden die
Unterteilungen der Sinne und die Beweggründe des intellektuellen Prozesses, die
Selbsterkenntnis fördern oder behindern können, bis ins kleinste Detail
erläutert, vor allem durch geistige Übungen und die genaue Analyse jedes
Objekts. Befolgt der Mensch diese Methode der Selbsterkenntnis, so erlangt er
schließlich das Wissen um die wahre Realität und sieht die Wahrheit, wie sie
ist. Das ist die Methode, die jeder weise Lehrer für die Geistesentwicklung des
Schülers anwendet.
Als Gotama
die Vier Edlen Wahrheiten und den edlen Pfad predigte, verurteilte er
einerseits die von Asketen praktizierte körperliche Kasteiung, andererseits das
ausschweifende Leben, und zeigte den achtstufigen Pfad als den Weg zur
Harmonisierung der Sinne und zur Erlangung der sechs vollkommenen Eigenschaften
eines Archaten auf: Mitgefühl, Ethik, Geduld, Mut, Konzentration und Weisheit.
Buddha bestand darauf, daß seine Schüler das Prinzip der zwei Extreme erkannten,
denn die Wirklichkeit kann man nur durch die Gegenüberstellung zweier Extreme
erfassen. Konnte der Schüler diese Aufgabe nicht meistem,
führte ihn der Gesegnete nicht in weiteres Wissen ein, denn dies wäre nicht nur
sinnlos, sondern sogar schädlich gewesen. Das Erfassen dieses Prinzips wurde
durch die Aufnahme des Grundsatzes der Relativität erleichtert. Buddha
bestätigte die Relativität alles Bestehenden und hob die ewige Veränderung in
der Natur und die Unbeständigkeit aller Dinge im Strom unbegrenzten Seins, das
immerzu nach Vervollkommnung strebt, hervor. Und wie sehr er an diesem
Grundsatz der Relativität festhielt, kann folgendem Gleichnis entnommen werden:
„Nehmt an", sagte Buddha
eines Tages zu seinen Anhängern, „nehmt an, ein Mensch begibt sich auf eine
lange Reise und sieht sich einer großen Wasserfläche gegenüber; die
näherliegende Seite birgt viele Gefahren, doch die weiter entfernte Seite ist
sicher und frei von Gefahren, aber es gibt weder ein Boot noch eine zum anderen
Ufer führende Brücke. Und nehmt an, dieser Mensch würde sich sagen: ,Wahrlich, da ist eine große und weite Wasserfläche, doch
es gibt kein Hilfsmittel, um das andere Ufer zu erreichen. Ich könnte Schilf,
Zweige und Blätter sammeln, mir daraus ein Floß machen und darauf mit Händen
und Füßen der Sicherheit des anderen Ufers entgegenrudern!' Dann stellt euch
vor, dieser Mensch tut, was er gesagt hat; er macht ein Floß, läßt es ins Wasser gleiten, arbeitet mit Händen und Füßen
und erreicht sicher das andere Ufer."
„Und jetzt, nachdem er das
gegenüberliegende Ufer erreicht hat, sagt der Mann: ,Wahrlich,
dieses Floß war mir dienlich, denn auf ihm habe ich, mit Händen und Füßen
arbeitend, sicher das andere Ufer erreicht. Ich meine, ich hebe es auf, setze
es auf meinen Kopf oder auf meine Schultern und setze so meinen Weg fort.` "
„Was denkt ihr, Schüler? Würde
der Mensch so mit seinem Floß das Richtige tun?"
„Was sonst sollte
der Mensch mit seinem Floß richtigerweise tun?" „Dann, Schüler, müßte dieser Mann zu sich sagen:
,Wahrlich, dieses Floß war mir sehr dienlich, denn auf ihm gelangte ich,
mit Händen und Füßen arbeitend, sicher an das ferne Ufer. Doch ich meine, ich
lasse es am Ufer und setze meine Reise fort!' So hätte dieser Mensch das
Richtige mit seinem Floß getan."
„Auf die gleiche Art, Schüler,
stelle ich euch meine Lehre wie ein Floß zur Verfügung, bestimmt als Mittel des
Entkommens; nicht als ständigen Besitz. Versteht diesen Vergleich mit dem Floß
richtig: Dharma muß hinter sich gelassen werden, wenn
ihr dem Ufer Nirwanas zusteuert."
Hier sehen wir, wie unwichtig es
ist, in dieser Welt der Relativität an einer Sache zu hängen – alles ist Maja.
Alles, sogar die Lehre eines vollkommen Erleuchteten hat nur vorübergehenden,
vergänglichen, relativen Wert.
Dieses Gleichnis unterstreicht
auch die Notwendigkeit der Anstrengung mit menschlichen Händen und Füßen, da
die Lehre nur wirken kann, wenn man sich persönlich anstrengt.
* * *
Buddhas Gemeinschaften waren eine
Zufluchtsstätte für die verschiedenartigsten Bedürfnisse und daher aus den
verschiedensten Elementen zusammengesetzt. Dem Milinda Panha entnehmen wir folgendes:
Einmal fragte Milinda
seinen buddhistischen Lehrer Nagasena: „Was veranlaßt jemanden, sich der Gemeinschaft
anzuschließen?" Der Weise antwortete, daß manche
Anhänger der Gemeinschaft würden, um der Tyrannei eines Herrschers zu
entfliehen; und wieder andere suchten Zuflucht, um vor Räubern sicher zu sein
oder weil sie mit Schulden überladen sind; doch gäbe es auch solche, die nur
ihre Versorgung gesichert wissen wollten.
Wenn sich auch einige der
Gemeinschaft anschlossen, um in den Genuß sozialer
und materieller Vorteile zu kommen, so waren es doch vor allem die wahren
sozialen Erneuerer, die aufgrund der vielen Möglichkeiten, die die Lehre des
Buddha inmitten der finsteren, feudalen Wirklichkeit dieser Zeit bot, der
Gemeinschaft beitraten. Im Sutta Nipata werden
das gesellschaftliche Leben und die öffentliche Moral jener Zeit streng
verurteilt.
In die Gemeinschaft konnte jeder
eintreten, ohne Unterschied von Rasse, Kaste und Geschlecht; die
unterschiedlichsten Ansuchen und Bestrebungen nach neuen Wegen wurden in ihr
befriedigt.
Buddhas Gemeinschaften waren
keine Klöster, und der Eintritt bedeutete keine Einweihung. Nach den Worten des
Lehrers machte allein die Verwirklichung der Lehre den Neophyten zu einem neuen
Menschen und einem echten Gemeinschaftsmitglied.
In der Gemeinschaft waren alle
Mitglieder völlig gleichberechtigt. Sie unterschieden sich voneinander nur
durch den Zeitpunkt ihres Eintritts. Es wurde keine Auswahl nach dem Alter
getroffen. Das Alter wurde außerdem nicht an grauen Haaren gemessen. Der
Mensch, dessen einziger Verdienst sein Alter war, galt als „vergebens alt
geworden". „Älter" ist der, aus dem Gerechtigkeit
spricht, der sich zu beherrschen weiß, der weise ist.
Buddha bestand nicht darauf, daß alle in einer engen Gemeinschaft lebten. Von Anfang an
gab es unter den Schülern einige, die das einsame Leben vorzogen. An jene, die
sich zu sehr absonderten, richtete Buddha die Worte: „Ein einsames Leben im
Walde ist nützlich für den, der es führt, aber von geringer Hilfe für das Wohl
der Menschen."
Buddha wollte nicht zu viele
Regeln und Verbote auferlegen. Er versuchte, Pedanterie und einheitliche
Vorschriften zu vermeiden. Seine Richtlinien waren darauf bedacht, die völlige
Selbständigkeit des Schülers zu schützen und zu wahren. Dem Mitglied der
Gemeinschaft oblag es, Schlichtheit und Anstand zu wahren, doch da keine
geistig begründeten Vorzüge in der Art der Nahrung oder der Kleidung lagen,
gewährte Buddha den Schülern einen gewissen Freiraum. Angeregt durch Devadatta baten einige Schüler Buddha, strengere Regeln für
die Gemeinschaft einzuführen und den Genuß von
Fleisch und Fisch zu verbieten. Buddha wies ihre Bitte ab und sagte, es sei
jedem freigestellt, diese Maßnahmen für sich selbst zu treffen, doch sie sollten
nicht als Verpflichtung für alle gelten. Die gleiche Toleranz übte er
hinsichtlich der Kleidung, denn er erachtete es als unzulässig, diese Freiheit
auf ein Vorrecht für wenige zu reduzieren. Zu dem verehrten Sona sagte der
Gesegnete einmal im Vertrauen auf dessen Weisheit: „Sona, du hast dich
verfeinert, ich gestatte dir, besohlte Schuhe zu tragen." Sona fragte
daraufhin, ob diese Erlaubnis für alle Mitglieder der Gemeinschaft gelte, was
der Gesegnete sogleich bejahte.
Aus der Vinaya ersehen wir, wie der
Gesegnete immer aus einer Lebensnotwendigkeit heraus für die Gemeinschaft
Regelungen traf. Eine rührende Episode ist darin
angeführt, die zu einer neuen Regel für die Gemeinschaft führte:
Ein Bhikshu
hatte eine Darmkrankheit und lag in seinen eigenen Exkrementen auf dem Boden.
Als der Gesegnete mit dem ehrwürdigen Ananda durch die Schlafräume schritt, kam
er zur Zelle dieses Bhikshu und sah ihn in diesem
Zustand. Er ging zu ihm und sagte: „Was ist mit dir, Bhikshu,
bist du krank?"
„Ich habe Bauchschmerzen,
Herr."
„Hast du niemanden, der dich
pflegt, Bhikshu?"
„Nein, Herr."
„Warum pflegen dich die Bhikshus nicht?"
„Weil ich den Bhikshus
nicht nützlich bin, Herr." Daraufhin sagte der Gesegnete zu dem
ehrwürdigen Ananda: „Geh, Ananda, und bringe Wasser, wir wollen diesen Bhikshu baden."
„Ja, Herr", antwortete
Ananda und brachte Wasser. Dann begoß der Gesegnete
den Bhikshu mit Wasser, während Ananda ihn wusch. Und
der Gesegnete nahm ihn beim Kopf, der ehrwürdige Ananda bei den Füßen, und sie
hoben ihn auf und legten ihn auf sein Bett.
Aus diesem Anlaß
und in diesem Zusammenhang berief der Gesegnete eine Versammlung ein und fragte
die Bhikshus:
„Bhikshus,
befindet sich in dem und dem Raum ein Bhikshu, der
krank ist?"
„Ja, Herr."
„Und was, Bhikshus,
fehlt ihm?"
„Er hat Bauchschmerzen,
Herr."
„Und pflegt ihn jemand, Bhikshus?"
„Nein, Herr."
„Aber warum pflegen ihn die Bhikshus nicht? Bhikshus, ihr
habt weder Mutter noch Vater, die euch dienen. Wenn ihr Bhikshus
euch nicht gegenseitig helft, wer wird euch pflegen? Jeder, der mich pflegen
würde, sollte auch den Kranken pflegen."
„Wenn er einen Erzieher hat,
sollte ihn sein Erzieher pflegen, bis er genesen ist, und dasselbe gilt für
einen Lehrer, einen Mitschüler des gleichen Vihara
oder einen Schüler, der bei seinem Lehrer wohnt. Und hat er keinen von diesen,
dann sollte ihn die Gemeinschaft pflegen; und jeder, der dies nicht tut, macht
sich eines Vergehens schuldig."
Der Unwillen des Lehrers,
zahlreiche statische Regeln, besonders Verbote, aufzustellen und der Wunsch,
die Lebendigkeit des gemeinschaftlichen Lebens zu bewahren, kommen lebhaft in
seinen letzten Vermächtnissen an seinen Schüler Ananda zum Ausdruck: „Ich
überlasse es der Gemeinschaft, die kleinen und unbedeutenden Regeln zu ändern."
Doch es gibt schwache Seelen, für
die es leichter ist, wenn ihre Pflichten streng geregelt sind; daher stammt die
Vielfalt der Vorschriften und Verbote des späteren Buddhismus. Es ist viel
leichter, sich Regeln, selbst unter Zwang, zu unterwerfen, als von sich aus bewußt die Energie aufzubringen, die der Lehrer von seinen
Schülern verlangte. Die Gemeinschaft wollte die Mitglieder nicht ihrer
Persönlichkeit berauben, sondern sie in Freundschaft und Nähe zu einem einzigen
Streben für das Allgemeinwohl vereinen. Sie wollte nicht individuelle
Eigenarten auf eine Ebene bringen; im Gegenteil, Buddha schätzte jeden Beweis
von Initiative, jede individuelle Äußerung, denn die Lehre sagt, daß jeder sein eigener Schöpfer und Befreier ist und
persönliche Anstrengungen absolut notwendig sind, um dieses hohe Ziel zu
erreichen. Denn der individuelle Ursprung trug bereits alle Möglichkeiten der
Entwicklung in sich. „Vermeidet Streit, seid selbstbewußt,
ohne andere auszuschließen." Dies wurde als Regel in die Gemeinschaft aufgenommen.
Der Buddhismus fürchtete
individuelle Äußerungen so wenig, daß die
schöpferischen Worte eines Gemeinschaftsmitglieds oft aufgegriffen und zusammen
mit den Vermächtnissen des Lehrers Teil der Gründsätze
wurden.
Strenge Disziplin und ständige
Überwachung der Gedanken, Worte und Taten machten aus der Gemeinschaft eine
Schule, in der geübt und erzogen wurde. Der Lehrer, der im Wissen das einzige
Mittel sah, um sich von den irdischen Fesseln zu befreien, und der Unwissenheit
als den schändlichsten Frevel bezeichnete, gebot jedem, den Weg des Wissens zu
beschreiten.
Neben Unwissenheit wurde auch
Oberflächlichkeit aufs heftigste verurteilt.
„Die Toren, die Unwissenden, sind
sich selbst die größten Feinde, denn ihr unrechtes Handeln trägt bittere Früchte."
„Selbst wenn ein Tor sein ganzes
Leben lang einen weisen Menschen begleitet, kennt er die Wahrheit genauso wenig
wie der Löffel den Geschmack der Suppe."
„Lang ist die Nacht für den
Wächter, lang die Meile für den Müden. Lang ist die Runde von Leben und Tod für
Unwissende, die die Wahrheit nicht kennen."
Sehr oft forderte Buddha Eltern
auf, ihre Kinder in allen Wissenschaften und Künsten zu unterweisen, um dadurch
deren Bewußtseinswachstum zu fördern. Genauso wies er
stets auf die Notwendigkeit des Reisens hin. Reisen hatte für Buddha einen sehr
sinnvollen Zweck, denn es bringt den Menschen weg von gewohnten Verhältnissen,
fördert seine Beweglichkeit, Findigkeit und Anpassungsfähigkeit – Eigenschaften,
die unentbehrlich sind für die Erweiterung des Bewußtseins.
Die Lehre Gotamas
erhebt Anspruch auf Echtheit, doch sie verfügt nicht über Dogmen, an die blind
geglaubt werden muß; denn der Lehrer, der bei allem
den Wert des Wissens hervorhob, sah in blindem Glauben keinen Nutzen für die Bewußtseinsentwicklung. „Daher", sagte Buddha, „lehrte
ich euch, nicht zu glauben, weil ihr etwas gehört habt, sondern nur dann, wenn
euer Bewußtsein es geprüft und angenommen hat."
In einem Gespräch mit einem
jungen Brahmanen erläuterte Buddha, wie ein würdiger Schüler die Beherrschung
der Wahrheit erlangt: „Wenn der Schüler nach reiflicher Überlegung eingesteht, daß besagter Mensch frei von der Möglichkeit des Irrtums
ist, so vertraut er diesem Menschen. Er nähert sich ihm voll Vertrauen und bittet,
als Schüler angenommen zu werden. Ist er sein Schüler, dann öffnet er sein Ohr
und lauscht aufmerksam und gespannt der Lehre. Hat er die Lehre vernommen,
bewahrt er sie in seinem Gedächtnis. Er analysiert den Sinngehalt dieser
Wahrheiten und meditiert darüber. Daraus wird seine Entschlossenheit geboren,
und wozu er sich entschließt, das wird er durchführen. Er weiß die Bedeutung
der Tat zu schätzen. Entsprechend dieser Einschätzung setzt er alle Kräfte ein.
Durch diesen Einsatz nähert er sich der Wahrheit. Wenn er in ihre Tiefen
eingedrungen ist, erkennt er. Doch das alles ist nur die Erkenntnis der
Wahrheit, nicht ihr Besitz. Um sie völlig zu erfassen und zu beherrschen, muß man sie anwenden, pflegen und diesen psychischen
Vorgang unermüdlich wiederholen."
Aus diesem Gespräch geht klar
hervor, daß es dem Schüler freistand, die ihm
dargebotene Wahrheit zu untersuchen, und daß die
Beherrschung der Wahrheit nur durch persönliche Anstrengung zu erreichen ist.
* * *
Die Lehre Buddhas umfaßte als eine Lehre der Wahrheit alle vorhergehenden
großen Lehren, und indem sie deren Wahrheitsgehalt hervorhob, schloß sie Verleugnung aus. Dadurch, daß
sie Verleugnung ablehnte, setzte sie niemanden herab. Die Erkenntnis des hohen
Prinzips der Zusammenarbeit erschloß alle Wege.
In Buddhas Gemeinschaften war
Ablehnung, die auf persönlichen Erkenntnissen beruhte, erlaubt, doch
Verleugnung setzte man mit Unwissenheit gleich. In seinen Gemeinschaften konnte
man kleinliche Überlegungen ablehnen, doch Verleugnung glich einem Rückzug aus
der Gemeinschaft. Es war üblich, den, der die Gemeinschaft verlassen hatte, nie
mehr zu erwähnen – die Gemeinschaft sollte für die Zukunft leben. Kehrte jedoch
der Ausgeschiedene zurück, was des öfteren
vorkam, dann stellte man ihm keine andere Frage als diese: „Bist du jetzt frei
von Verleugnung?"
Zu Beginn befaßte
sich der Schüler hauptsächlich mit der Läuterung des Herzens und des Geistes von allen Vorurteilen und schlechten Eigenschaften. Dem
Fortschritt des Schülers entsprechend verlagerte sich der Schwerpunkt der Lehre
auf die Bewußtseinserweiterung.
Es ist schwierig für einen
Menschen aufzusteigen, ohne sich ernsthaft der Prüfung der Reinigung unterzogen
zu haben. „Sobald das Tuch beschmutzt ist, wird seine Farbe häßlich
und verschwommen, auch wenn der Färber es noch so oft in blaue, rote oder lila
Farbe taucht – und warum? Weil der Schmutz im Tuch haftet. Ist das Herz unrein,
so kann man kein anderes Ergebnis erwarten."
„Ich sage, um ein Strebender zu
sein, reicht es nicht aus, ein wallendes Gewand zu tragen. Es genügt nicht,
nackt zu sein, sich mit Schlamm zu bedecken, mit Wasser zu bespritzen, unter
einem Baum zu sitzen, in Einsamkeit zu leben, in einer Stellung zu verharren,
zu hungern, Mantras nachzusprechen und sein Haar zu flechten."
„Ein Mensch ist nicht deshalb ein
Bettelmönch, weil er sich von Almosen ernährt."
„Ein Mensch ist kein Asket, nur
weil er im Wald lebt."
„Wer in seiner Tat unrein und
unaufrichtig ist, unwissend und ohne Selbstbeherrschung ist, der ist des gelben
Gewandes nicht würdig."
Buddha sagte: „Von den drei Arten
zu handeln ist nicht das Wort, nicht die Tat, sondern der Gedanke die
abscheulichste. Sobald der Mensch einen üblen Beschluß
faßt, ist er schon schuldig geworden, ob er die Tat
ausführt oder nicht."
„Das primäre Element in allem ist
der Gedanke. Der Gedanke entscheidet, der Gedanke gestaltet das Schicksal.
Spricht oder handelt ein Mensch mit bösen Gedanken, dann verfolgt ihn Leid, wie
das Rad des Wagens den Huf des Zugtieres. Spricht oder handelt ein Mensch mit
reinen Gedanken, so folgt ihm das Glück und bleibt ihm treu wie sein
Schatten."
„Der Feind handelt böse gegenüber
dem Feind, der Hassende gegenüber dem Hassenden, doch noch schlechter ist das
Übel, das ein falsch gelenkter Geist hervorbringt." Der Lehrer betonte
besonders oft die Notwendigkeit, seine Gedanken zu überwachen, denn wenn die
Wachsamkeit des Schülers, der sich seiner bereits erzielten Erfolge zu sicher
ist, nachläßt, wird er dieses Versäumnis teuer
bezahlen. Dieser Rat wurde in einem Gleichnis gegeben: „Ein Mann wurde durch
einen vergifteten Pfeil verwundet. Der Arzt, der den Pfeil entfernt hatte, riet
dem Verwundeten, die Wunde aufmerksam zu beobachten; aber der Patient meinte,
er hätte nichts mehr zu befürchten. Durch Unachtsamkeit entzündete sich die
Wunde, und der Mann starb unter heftigen Schmerzen."
„Wachsamkeit ist der Pfad zur
Unsterblichkeit. Nachlässigkeit führt zum Tod. Die Wachsamen sterben nicht. Die
Nachlässigen gleichen den Toten."
„Jenen, die im Denken unbeständig
sind, das wahre Gesetz nicht kennen oder deren Vertrauen schwankt, wird nie die
volle Weisheit zuteil."
„So wie ein Pfeilemacher
seine Pfeile geradebiegt, so arbeitet ein weiser Mensch an seinem Wankelmut und
seinem unbeständigen Geist, der schwer zu hüten und zu führen ist."
„So wie in ein schlecht gedecktes
Haus Regen tropft, so sickert Begehren in einen schlecht beherrschten
Geist."
„Die großen und kleinen Fesseln
eines Bhikshu, der Freude hat an Wachsamkeit und
Nachlässigkeit fürchtet, werden alle verbrannt. Er schreitet fort wie
Feuer."
Um auf die Torheit, niederen
Regungen nachzugeben, hinzuweisen, sagte Buddha in bezug auf deren Nützlichkeit: „Das Gefühl, um
dessentwillen ihr euch erniedrigt, wird für euch bald nur mehr eine Erinnerung
sein, wie ein im Traum erlebtes Vergnügen. Was aber als stets lebendiger
Vorwurf zurückbleibt ist die wegen dieses Vergnügens ausgeführte Tat."
„Tugendhaftigkeit ist wie ein
aufgeblähter Lederbeutel – beschädigt man ihn einmal, so ist er zerstört.
Ebenso ist es, wenn man nur einmal lasterhaften Neigungen nachgibt; nichts kann
dann den Ausbruch der Leidenschaften hemmen. Und ein sich selbst überlassener
Mensch wird unweigerlich zugrunde gehen."
„Bewässerer lenken
das Wasser, wohin sie wollen; Pfeilemacher formen den
Pfeil; Zimmerleute bearbeiten das Holz nach ihrem Willen; der Weise biegt sich
selbst."
Aus den Schriften geht hervor, daß zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft kein
Unterschied gemacht wurde – gesellschaftlich Etablierte, Verheiratete und
Alleinstehende, Männer und Frauen – alle können die ihnen vermittelte Wahrheit
in gleicher Weise empfangen.
Der Eintritt in die Gemeinschaft
war nicht mit einem Gelübde verbunden. Wer kam, brachte nur die Bereitschaft
mit, der Lehre zu dienen. Doch hörte diese Bereitschaft auf, so verpflichtete
ihn nichts, in der Gemeinschaft zu bleiben. Der Austritt war ebenso einfach wie
der Eintritt. Es gab zahlreiche Fälle, daß jemand die
Gemeinschaft verließ und später wiederkehrte.
Man darf ein Mitglied nicht
allein deshalb aus der Gemeinschaft ausschließen, weil man kein Verständnis für
sein Handeln aufbringt. Diesen Menschen auszuschließen würde bedeuten, einen
Schwall heftiger Worte und Uneinigkeit in der Gemeinschaft freizusetzen. „Ein
Gemeinschaftsmitglied wird etwas, was es vernahm, nicht auf eine Art wiedergeben,
die andere entzweit, sondern die sie einander näherbringt und dabei nur
friedvolle Worte verwenden."
„Nie ist Haß
durch Haß bezwungen worden; allein Güte setzt ihm ein
Ende, so ist das ewige Gesetz."
„Er beschimpfte mich, er mißbrauchte mich, er überwältigte mich, er beraubte mich;
in wem solche Gedanken wohnen, wird der Ärger nie gestillt."
„Befaßt
sich ein Mensch mit den Fehlern anderer und neigt er immer dazu, beleidigt zu
sein, dann werden seine eigenen Leidenschaften wachsen, und er ist weit davon
entfernt, sie unschädlich zu machen."
„Es gibt manche, die die
Notwendigkeit der Selbstbeherrschung nicht begreifen; sind sie streitsüchtig,
so wollen wir ihr Benehmen entschuldigen. Doch jene, die mehr wissen, sollten
lernen, in Eintracht miteinander zu leben."
„Findet ein Mensch einen weisen
Freund, der rechtschaffen lebt und einen gefestigten Charakter hat, so kann er
mit ihm leben und wird alle Gefahren überstehen, glücklich und wachsam. Aber –
mit Toren gibt es keine Freundschaft. Bevor man mit Menschen lebt, die
selbstsüchtig, eitel, streitsüchtig und eigensinnig sind, sollte man seinen Weg
lieber alleine gehen."
Da Buddha in allen Dingen auf
Zweckmäßigkeit bedacht war, strebte er nicht danach, seine Lehre zu
systematisieren. Er wollte, daß jeder Punkt der Lehre
so stark wie möglich auf den Willen seiner Schüler einwirkt. Da sein einziges
Ziel das Wachstum und die Entwicklung des Bewußtseins
war, gestattete er in allem übrigen Gedanken- und Handlungsfreiheit.
Buddha forderte individuelle Disziplin von jedem einzelnen.
„Wie wählte Buddha seine Schüler
für die große Aufgabe aus? Wenn während der Arbeit bereits Müdigkeit von den
Schülern Besitz ergriffen hatte, stellte Buddha die unerwartetsten
Fragen und erwartete eine unverzügliche Antwort.
Oder er stellte den einfachsten
Gegenstand vor sie hin und gab ihnen auf, ihn mit nicht mehr als drei Worten
oder nicht weniger als einhundert Seiten zu beschreiben. Oder er stellte einen
Schüler vor eine verschlossene Tür und fragte: ,Wie
wirst du sie öffnen?'
Oder er bestellte Musiker und
ließ sie unter dem Fenster Lieder mit völlig verschiedenen Inhalten spielen.
Oder er ging an den Schülern
vorbei und fragte, wie oft er bei ihnen vorbeigekommen sei.
Oder wenn er bemerkte, daß eine Fliege einen Schüler belästigte, so ließ er ihn
unerwartet ausgesprochene Worte wiederholen.
Wenn er bei einem Schüler Furcht
vor Tieren oder Naturphänomenen bemerkte, so verlangte er, dagegen anzukämpfen.
So stählte der machtvolle Löwe
die Klinge des Geistes." (Nach einer mündlichen Überlieferung des Hindu-Buddhismus)
In Augenblicken der Rast
bevorzugte Buddha mit seinen Schülern einen geistvollen Zeitvertreib. Er
stellte ein Wort in den Raum, das die Schüler zu einem
vollständigen Gedanken ausbauten. Es gibt keine weisere Prüfung für den Zustand
des Bewußtseins.
Buddha formte seine Schüler durch
wahres Wissen und die bleibende Erkenntnis des Wandels aller Dinge, wappnete
sie mit Mut, Geduld und Mitgefühl und erzog sie zu wahren Kämpfern für das
Allgemeinwohl.
Besonders zahlreich sind in den
alten Schriften Beispiele für die völlige Verachtung dessen, was das Leben
leicht und im herkömmlichen Sinn angenehm macht. Aus dem Verzicht auf alles
Persönliche entsteht das Gefühl wahrer Freiheit; aus Freiheit wird Freude
geboren, aus Freude Befriedigung – und aus Befriedigung das Gefühl der Ruhe und
Glückseligkeit.
Buddha fand den Weg zu den Herzen
der Menschen nicht durch Wunder, sondern indem er sie anhand praktischer
Beispiele lehrte, das Alltagsleben zu vervollkommnen, und durch sein
persönliches Beispiel der wahren Zusammenarbeit.
Seine Toleranz und sein Wunsch
nach enger Zusammenarbeit mit den Menschen waren so groß, daß
er nie ihre Bräuche oder ihren Glauben abwertete. „Ehre deinen Glauben und
verurteile nie den Glauben anderer." In allen Fragen beschäftigte er sich
nicht mit den äußeren Formen, sondern versuchte nur, ihre tiefere Bedeutung
verständlich zu machen, indem er sie von einem neuen Standpunkt aus erklärte.
„Während der Gesegnete in einem
Bambushain bei Rajagriha weilte, traf er Srigala, einen Hausherrn, der seine Hände faltete und sich
den vier Himmelsrichtungen, dem Zenit oben und dem Nadir unten zuwandte. Und
der Gesegnete, der wußte, daß
dies dem überlieferten religiösen Aberglauben entsprach, um das Böse
abzuwenden, fragte Srigala: ,Warum
vollziehst du diese seltsamen Zeremonien?'
Srigala antwortete: ,
Hältst Du es für eigenartig, daß ich mein Heim vor
Dämonen schütze? Ich weiß, daß Du, Gotama Sakyamuni, den die Leute
den Tathagata und den Gesegneten Buddha nennen, mir
gerne sagen willst, daß Beschwörungen nicht von
Nutzen sind und keine rettende Kraft besitzen. Doch höre mich an und wisse, daß ich, indem ich diesen Ritus durchführe, die Worte
meines Vaters ehre, achte und heilig halte.'
Dann sagte der Tathagata: ,Es ist richtig von
dir, Srigala, die Worte deines Vaters zu achten, zu
ehren und heilig zu halten; auch ist es deine Pflicht, dein Heim, dein Weib,
deine Kinder und Kindeskinder vor dem schädlichen Einfluß
böser Geister zu bewahren. Ich sehe in der Vollziehung des Ritus deines Vaters
kein Unrecht. Doch bemerke ich, daß du die Zeremonie
nicht verstehst. Laß den Tathagata,
der jetzt als geistiger Vater zu dir spricht und dich nicht weniger liebt, als
deine Eltern es taten, dir die Bedeutung der sechs Richtungen erklären:
Es reicht nicht aus, dein Heim
durch geheimnisvolle Zeremonien zu schützen; du mußt
es durch gute Taten schützen. Wende dich an deine Eltern im Osten, an deine
Lehrer im Süden, an dein Weib und die Kinder im Westen, an deine Freunde im
Norden und ordne den Zenith deiner religiösen
Beziehungen über dir wie auch den Nadir deiner Diener unter dir.
Dies ist die Religion, die dein
Vater von dir erwartet, und die Ausführung der Zeremonie wird dich an deine
Pflichten erinnern.'
Und Srigala
schaute voll Ehrfurcht zu dem Gesegneten wie zu einem Vater auf und sagte: ,Wahrlich, Gotama, Du bist der
Buddha, der Gesegnete, der heilige Lehrer. Ich wußte
nie, was ich tat, doch jetzt weiß ich es. Du hast mir die verborgene Wahrheit
enthüllt, wie einer, der ein Licht in die Finsternis bringt. Ich nehme Zuflucht
zum Erleuchteten Lehrer, zur Wahrheit, die erleuchtet, und zur Gemeinschaft der
Brüder, die die Wahrheit gefunden haben.'"
Vom Beginn seiner Tätigkeit an
war Buddha der Ansicht, daß ein zur rechten Zeit und
am rechten Ort gesprochenes Wort überzeugender ist als ein Wunder, das nur eine
psychische Wirkung auf den Menschen und seine Entwicklung ausübt. Er befahl
seinen Schülern ausdrücklich, ihre erworbenen „wunderbaren" Kräfte nicht vor
denen zu offenbaren, die mit den Prinzipien, die solchen Kräften innewohnen,
nicht vertraut waren. Außerdem sind derartige Manifestationen für den
Ausführenden selbst schädlich, weil sie ihn über die Umgebung erheben und
Eitelkeit in ihm wecken.
Ein guter Schüler darf sich nicht
mit übermenschlicher Vollkommenheit brüsten. Ein Schüler, der in übler Absicht
und aus Habsucht mit übermenschlichen Fähigkeiten prahlt, seien es himmlische
Visionen oder Wunder, ist nicht länger ein Schüler des Sakyamuni.
„Ich verbiete euch, oh Bhikshus, irgendwelche
Zaubersprüche oder Bittgebete zu verwenden, denn sie sind nutzlos, da in allem
das Karmagesetz gilt. Wer versucht, Wunder zu vollbringen, hat die Lehre des Tathagata nicht verstanden."
Das Wort und die Überzeugungskraft
waren die einzigen Mittel, mit denen der Lehrer auf die Menschen einwirkte.
Nirgendwo finden wir Ärger oder Unwillen, immer nur die klare Bestätigung der
Wahrheit. „Der Gesegnete ist vollkommen in der Handhabung seiner Sprache",
sagte der Schüler Sariputra.
„So wie die Erde ohne Kummer oder
Vergnügen alle auf sie geworfenen, reinen und unreinen Dinge geduldig erträgt,
so erträgt auch Buddha ungerührt sowohl die Verehrung als auch die Mißachtung der Menschen. Und wie das Wasser Gerechte und
Ungerechte ohne Unterschied reinigt und erfrischt, so gewährt Buddha Freunden
wie Feinden sein Mitgefühl."
Zahlreich waren die Gespräche
Buddhas mit seinen Hörern über das, was sie unmittelbar berührte, sowie über
ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Familien und dem Allgemeinwohl. Sein
großes Verdienst lag darin, daß er, indem er die
Pflicht des Menschen vom Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit für das Leben
betrachtete, versuchte, das Leben in der Praxis mit feinen und erhabenen
Gefühlen zu bereichern, was ihn von anderen Lehrern unterschied.
Diese lebendige, praxisnahe Seite
der Lehre kommt in der Antwort des Buddha an Anathapindika
wunderbar zum Ausdruck. Anathapindika war ein Mann
mit unschätzbarem Reichtum, den man „Helfer der Waisen und Freund der
Armen" nannte und der kam, um Buddha um Rat zu fragen.
Als Anathapindika
vernahm, daß Buddha sich im Bambus-Hain bei Rajagriha aufhielt, begab er sich noch in derselben Nacht
auf die Reise, um den Gesegneten aufzusuchen. Und der Gesegnete erkannte
sogleich das reine Herz Anathapindikas und grüßte ihn
mit ermunternden Worten.
Anathapindika sagte: „Ich sehe, Du bist der
Buddha, der Gesegnete, und ich möchte Dir mein Innerstes öffnen. Nachdem Du
meinen Worten gelauscht hast, rate mir, was ich tun soll. Mein Leben ist
ausgefüllt mit Arbeit, und da ich großen Reichtum erworben habe, bin ich von
Sorgen umgeben. Doch meine Arbeit erfreut mich, und ich widme mich ihr mit
großem Fleiß. Ich beschäftige viele Menschen, die vom Erfolg meiner Unternehmen
abhängig sind.
Nun hörte ich, daß Deine Schüler den Segen des Einsiedlers preisen und die
Rastlosigkeit der Welt verurteilen. ,Der Heilige',
sagen sie, ,hat sein Königreich und sein Erbe aufgegeben und fand den Pfad der
Rechtschaffenheit; so gibt er der Welt ein Beispiel, wie Nirwana erreicht
werden kann.'
Mein Herz dürstet danach, das
Richtige zu tun und ein Segen für meine Mitmenschen zu sein. Daher möchte ich
Dich fragen, ob ich meinen Wohlstand, mein Heim und meine Geschäftsunternehmen
aufgeben und wie Du die Heimatlosigkeit wählen muß,
um den Segen eines rechtschaffenen Lebens zu erlangen?"
Und Buddha antwortete: „Der Segen
der Rechtschaffenheit ist für jeden, der auf dem edlen achtfachen Pfad wandelt,
erreichbar. Wer am Wohlstand hängt, täte besser daran, alles wegzugeben, als
zuzulassen, daß sein Herz dadurch vergiftet wird;
aber wer nicht am Wohlstand hängt und seine Reichtümer richtig verwendet, wird
für seine Mitmenschen ein Segen sein.
Ich sage dir, bleibe bei deinem
Leben und widme dich mit Fleiß deinen Unternehmen. Es ist nicht das Leben, der
Wohlstand oder die Macht an sich, was den Menschen versklavt, sondern daß er am Leben, am Wohlstand und an der Macht hängt.
Der Bhikshu,
der die Welt verläßt, um ein müßiges Leben zu führen,
zieht keinen Nutzen aus seiner Entscheidung. Denn ein Leben in Trägheit ist zu
verabscheuen und Energiemangel zu verachten. Das Dharma des Tathagata
fordert von keinem Menschen, daß er sein Heim verläßt oder der Welt entsagt, wenn er sich nicht dazu
berufen fühlt; aber das Dharma des Tathagata verlangt
von jedem Menschen, sich von der Illusion des Selbst zu befreien, sein Herz zu
läutern, den Hunger nach Vergnügen zu bezwingen und ein rechtschaffenes Leben zu
führen.
Und was immer die Menschen tun,
ob sie als Handwerker, Kaufleute oder Offiziere des Königs sie sollten fleißig
und tatkräftig sein. Und wenn sie wie der Lotos sind, der im Wasser wächst,
aber vom Wasser unberührt bleibt; wenn sie im Leben kämpfen, ohne Neid und Haß zu empfinden; wenn sie in der Welt ein Leben für die
Wahrheit und nicht für sich selbst führen – wahrlich, dann werden Freude,
Frieden und Segen in ihren Herzen wohnen."
Genauso lebensnah und sinnvoll
sind die schönen Antworten des Gesegneten auf die Fragen Simhas,
des Kriegers.
Zu jener Zeit hatten sich viele
anerkannte Bürger in der Stadthalle versammelt und priesen Buddha, das Dharma
und die Gemeinschaft (Sangha) in jeder Beziehung.
Unter ihnen befand sich Simha, ein führender General
und Anhänger der Niggantha-Sekte. Und Simha dachte: „Wahrlich, der Gesegnete muß
der Buddha sein, der Heilige. Ich werde ihn aufsuchen."
Dann begab sich Simha, der General, zu Nataputta,
dem Führer der Niggantha-Sekte, trat auf ihn zu
und sagte: „Herr, ich möchte den Samana Gotama aufsuchen."
Nataputta sagte: „Warum solltest du, Simha, der an die Wirkung von Taten entsprechend ihrem
sittlichen Verdienst glaubt, den Samana Gotama aufsuchen, der den Erfolg der Tat verneint? Der Samana Gotama, Simha, verneint die Sinnhaftigkeit des Tuns, er lehrt die
Doktrin der Untätigkeit, und in dieser Lehre erzieht er seine Schüler."
Daraufhin ließ in Simha das Bedürfnis, den Gesegneten aufzusuchen, nach. Als
er dann aber erneut das Lob über Buddha, das Dharma und die Gemeinschaft
vernahm, fragte Simha den Niggantha-Führer
ein zweites Mal, und wieder überredete ihn Nataputta,
nicht zu Buddha zu gehen.
Doch als der General zum dritten
Mal hörte, wie einige außergewöhnliche Männer die Verdienste des Buddha, das
Dharma und die Gemeinschaft lobten, dachte er: „Wahrlich, der Samana Gotama muß
der heilige Buddha sein. Was bedeuten mir die Nigganthas!
Ob sie ihre Einwilligung geben oder nicht, ich werde sie nicht um Erlaubnis
fragen und den Gesegneten, den Heiligen Buddha, aufsuchen."
Und Simha,
der General, sagte zu dem Gesegneten: „Ich hörte, Herr, daß
der Samana Gotama den
Erfolg des Handelns leugnet, die Doktrin der Untätigkeit lehrt und verkündet, daß die Taten empfindender Wesen nicht ihre Belohnung
erfahren, denn er lehrt Vernichtung und Verachtung aller Dinge; und in dieser
Lehre erzieht er seine Schüler. – Lehrst Du, sich von der Seele abzuwenden und
das Wesen des Menschen abzulegen? Sage mir, o Herr, ob jene, die so etwas
sagen, die Wahrheit sprechen, oder erzählen sie wider besseres Wissen Lügen
über den Gesegneten, indem sie ein falsches Dharma als das Deinige
ausgeben?"
Der Gesegnete sagte: „Einerseits,
Simha, sagt der, der so über mich spricht, die
Wahrheit; andererseits, Simha, spricht der, der das
Gegenteil sagt, ebenfalls die Wahrheit. Höre nun, was ich dir zu sagen habe:
Ich lehre, Simha,
unrechte Handlungen durch Taten, Worte oder Gedanken zu unterlassen; ich lehre,
jene Herzensregungen nicht zuzulassen, die böse sind. Ich lehre jedoch, Simha, die rechtschaffene Tätigkeit durch Taten, Worte und
Gedanken; ich lehre das Schaffen von Herzensregungen, die gut und nicht böse
sind.
Ich lehre, Simha,
daß alle Herzensregungen, die böse und daher nicht
gut sind, und unrechtes Handeln durch Taten, Worte und Gedanken ausgemerzt
werden müssen. Wer sich selbst von all diesen Gemütsregungen, die schlecht
sind, befreit, wer sie wie einen Baum mit der Wurzel ausreißt, so daß sie künftig nicht mehr keimen können – so ein Mensch
hat sein Selbst vernichtet.
Ich lehre, Simha,
die Vernichtung des Egoismus, der Lust, des bösen Willens, der Täuschung. Aber
ich lehre nicht die Vernichtung von Liebe, Geduld, Güte und Wahrheit.
Ich verachte unrechtes Handeln, Simha, ob es durch Taten, Worte oder Gedanken ausgeführt
wird, doch ich halte Tugend und Rechtschaffenheit für lobenswert."
Und Simha
sagte: „Eine Unklarheit betreffend die Lehre des Gesegneten verbirgt sich noch
in mir. Würde sich der Gesegnete dazu bereit erklären, diese Wolke zu
vertreiben, damit ich dann das Dharma so verstehen kann, wie es der Gesegnete
lehrt?"
Der Tathagata
willigte ein, und Simha fuhr fort: „Ich bin ein
Soldat, Gesegneter, mir wurde vom König befohlen, seine Gesetze zu verteidigen
und seine Kriege zu führen. Gestattet der Tathagata, der unendliche Güte und Mitgefühl für alle Leidenden lehrt,
die Bestrafung des Verbrechens? Meint der Tathagata
darüber hinaus, daß es unrecht ist, zum Schutze
unserer Heime, Frauen und Kinder sowie unseres Besitzes in den Krieg zu ziehen?
Lehrt der Tathagata die Doktrin völliger
Unterwerfung, so daß ich dem Übeltäter zu tun
gewähre, was ihm beliebt, und mich gehorsam dem ergebe, der droht, gewaltsam zu
nehmen, was mir gehört? Behauptet der Tathagata, daß jeder Kampf einschließlich der Kriegsführung für eine
gerechte Sache verboten werden sollte?"
Buddha antwortete: „Wer Strafe
verdient, muß bestraft werden, und wer der Gunst
würdig ist, muß auch Gunst erfahren. Doch
gleichzeitig lehrt der Tathagata, kein Lebewesen zu
verletzen, sondern von Liebe und Güte erfüllt zu sein. Diese Aussagen
widersprechen einander nicht, denn jeder, der für die von ihm verübten
Verbrechen bestraft wird, erleidet seine Strafe nicht durch den bösen Willen
des Richters, sondern aufgrund seiner bösen Tat. Sein eigenes Handeln brachte
ihm jene Strafe ein, die der Vollstrecker des Gesetzes ihm auferlegt. Wenn ein
Beamter eine Strafe vollzieht, sollte er in seiner Brust keinen Haß fühlen, doch ein Mörder, der zum Tode verurteilt wird,
sollte bedenken, daß dies die Folge seiner eigenen
Tat ist. Sobald er versteht, daß die Bestrafung seine
Seele reinigt, wird er über sein Schicksal nicht länger klagen, sondern sich
darüber freuen."
Und der Gesegnete fuhr fort: „Der
Tathagata lehrt, daß jeder
Krieg, in dem der Mensch versucht, seinen Bruder zu töten, beklagenswert ist,
doch er lehrt nicht, daß jene, die aus einem
gerechtfertigten Grund in den Krieg ziehen, nachdem sie alles versucht haben,
um den Frieden zu erhalten, tadelnswert sind. Schuld ist jener, der die Ursache
des Krieges ist.
Der Tathagata
lehrt die völlige Aufgabe des Selbst, doch er lehrt nicht, sich irgendwelchen
bösen Kräften zu ergeben, seien es Menschen, Götzen oder die Naturelemente.
Kampf muß sein, denn das ganze Leben ist ein Kampf
eigener Art.
Doch wer kämpft, sollte darauf
achten, daß er nicht aus Selbstsucht gegen Wahrheit
und Rechtschaffenheit kämpft. Wer für sich selbst kämpft, damit er einflußreich, mächtig, reich oder berühmt wird, wird keinen
Lohn erhalten, doch wer für Rechtschaffenheit und Wahrheit kämpft, wird reichen
Lohn ernten, denn sogar seine Niederlage wird ein Sieg sein.
Das Selbst ist kein geeignetes
Gefäß, um großen Erfolg aufzunehmen; das Selbst ist klein und brüchig, und sein
Inhalt ist bald verschüttet für das Wohl, vielleicht auch für das Elend
anderer.
Aber die Wahrheit ist groß genug,
um die Sehnsucht und das Streben jedes Selbst aufzunehmen, und wenn das Selbst
wie eine Seifenblase zerplatzt, bleibt sein Inhalt bewahrt und wird in der
Wahrheit ein ewiges Leben führen.
Wer in den Krieg zieht, oh Simha, muß, selbst wenn er für
eine gute Sache kämpft, bereit sein, durch seine Feinde getötet zu werden, denn
das ist des Kriegers Los. Und sollte ihn dieses Schicksal treffen, so hat er
keinen Grund zu klagen.
Doch wer siegreich ist, sollte an
die Vergänglichkeit irdischer Dinge denken. Mag sein Erfolg noch so groß sein,
das Rad des Glücks kann sich wieder drehen und ihn in den Staub ziehen.
Wer sich aber mäßigt, den Haß aus seinem Herzen löscht, seinen unterdrückten
Gegnererhöht und zu ihm sagt: ,Komm, jetzt wollen wir
Frieden schließen und Brüder sein', wird einen Sieg erringen, der kein
vorübergehender Erfolg ist, denn seine Früchte sind von Dauer.
Groß ist ein erfolgreicher
General, oh Simha, doch wer sich selbst besiegt, ist
der größte Sieger. Die Lehre vom Sieg über sich selbst, oh Simha,
wird nicht gelehrt, um des Menschen Seele zu vernichten, sondern um sie zu
bewahren. Wer sich selbst besiegt hat, kann besser leben, erfolgreich sein und
Siege erringen als der Sklave seines Selbst.
Derjenige, dessen Gemüt frei ist
von der Täuschung durch das Selbst, wird im Lebenskampf bestehen und nicht
untergehen.
Wer gute und rechtschaffene
Absichten hat, dem wird kein Mißgeschick widerfahren,
seine Taten werden erfolgreich sein, und der Erfolg wird anhalten.
Wer in seinem Herzen die Wahrheit
liebt, wird leben und nicht sterben, denn er hat das Wasser der Unsterblichkeit
getrunken.
Kämpfe mutig, General, und sei
bei deinen Schlachten siegreich, doch sei ein Soldat der Wahrheit, und der Tathagata wird dich segnen."
Als der Gesegnete das gesagt
hatte, sprach Simha, der General: „Ruhmreicher Herr,
ruhmreicher Herr! Du hast die Wahrheit enthüllt. Groß ist die Lehre des
Gesegneten. Du bist tatsächlich der Buddha, der Tathagata,
der Heilige. Du bist der Lehrer der Menschheit. Du zeigst uns den Weg des
Heils, denn das ist wirklich wahre Befreiung. Wer Dir folgt, wird das Licht
finden, um seinen Weg zu erleuchten. Er wird Seligkeit und Frieden finden. Ich
nehme Zuflucht, oh Herr, bei dem Gesegneten, bei seiner Lehre und seiner
Bruderschaft. Möge mich der Gesegnete von diesem Tag an bis an mein Lebensende
als seinen Schüler betrachten, der zu ihm Zuflucht nahm."
Und der Gesegnete sagte: „Bedenke
zuerst, Simha, was du tust. Personen von Rang wie du
sollten nichts ohne nähere Überlegung tun."
Simhas Vertrauen zum Gesegneten wurde
immer stärker. Er antwortete: „Wäre es anderen Lehrern gelungen, Herr, mich zu
ihrem Schüler zu machen, sie trügen ihr Banner durch die ganze Stadt von Vesali und würden rufen: ,Simha, der General, ist mein Schüler geworden!' Zum
zweiten Mal, Herr, nehme ich Zuflucht zum Gesegneten, seinem Dharma, zur
Gemeinschaft; möge der Gesegnete mich zeit meines
Lebens als Schüler annehmen, der zu ihm Zuflucht nahm."
Der Gesegnete sagte: „Seit langer
Zeit, Simha, sind die Nigganthas
in deinem Haus bewirtet worden. Daher solltest du ihnen auch in Zukunft Nahrung
geben, wenn sie zu dir kommen, um Almosen zu erhalten."
Und Simhas
Herz wurde von Freude erfüllt. Er sprach: „Man sagte mir, Herr: ,Der Samana Gotama
sagt: Mir allein und keinem anderen dürfen Geschenke dargebracht werden. Meine
Schüler allein und keine anderen dürfen Almosen erhalten.' Aber der Gesegnete
redet mir zu, auch den Nigganthas etwas zu geben.
Jawohl, Herr, wir werden sehen, was angebracht ist. Zum dritten Mal, oh Herr, nehme
ich Zuflucht zum Gesegneten, zu seinem Dharma und seiner Bruderschaft."
In allen Dingen wurde Buddha von
zielgerechten Überlegungen beeinflußt.
„Welche Belohnung könnte euch der
Himmel bieten? Ihr müßt Sieger sein in dieser Welt,
unter den Umständen, in denen ihr euch jetzt befindet."
Einmal versuchte ein
Streitsüchtiger, Buddha zu verwirren, indem er ihn mit widersprüchlichen Fragen
überhäufte. Buddha hörte auf, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, und sagte zu der
ihn umgebenden Menge: „Dieser Mann will nicht das, was er sieht. Er sucht, was
er nicht sieht. Er wird lange vergeblich suchen. Er ist mit dem, was er um sich
herum sieht, nicht zufrieden, und seine Wünsche sind unbegrenzt. Ich
beglückwünsche jene, die der Begierde entsagt haben."
Buddhas Lehre bestätigte sich als
Lehre des Lebens, weil die Tatsache, daß eine
hochstehende und zielführende Lehre sogar ins Alltagsleben eindrang, eine neue
Ära im Leben der Menschheit einleitete. Die alten Verbote und Verneinungen
wurden durch eine positive und praktische Lehre ersetzt, und als Folge wurde
die Moral der Menschen auf eine höhere Ebene gehoben.
* * *
Buddha forderte, sich alles
Negativen zu enthalten und mit voller Tatkraft das Positive und Schöne zu fördern.
Selbstmord wurde von Buddha
besonders verurteilt, wie die Vernichtung jedes Lebens. „Alle zittern, wenn sie
mit der Strafe konfrontiert werden, alle fürchten den Tod; wenn du selbst
andere beurteilst, vernichte sie nicht und verursache keine Vernichtung."
„Der Bhikshu
unterläßt alles, was Leben zerstört; er tötet kein
lebendes Geschöpf. Er legt den Knüppel und das Schwert beiseite und ist sanft
und barmherzig, gütig und mitfühlend gegenüber jedem Lebewesen."
* * *
Es war verboten, Alkohol zu trinken
oder andere betrunken zu machen; denn Trunkenheit führt zu Niedergang,
Verbrechen, Wahnsinn und Unwissenheit – die Hauptursachen für ein erneutes und
beschwerdereiches Leben. Auch die Notwendigkeit vollkommener Keuschheit zur
Erreichung voller geistiger Entwicklung wurde hervorgehoben. Doch eine Ehefrau
zu haben und ihr treu zu sein wurde als eine Form der Keuschheit betrachtet.
Polygamie wurde von Gotama Buddha streng verurteilt,
weil sie durch Unwissenheit entsteht.
Die Lehre von der Heiligkeit der
Ehe hat der Gesegnete sehr schön durch das Gleichnis „Das Hochzeitsfest in Jambunada" veranschaulicht.
„Das höchste Glück für einen
sterblichen Menschen ist das Band der Ehe, das zwei liebende Herzen verbindet.
Doch es gibt noch eine größere Glückseligkeit: das Erfassen der Wahrheit. Der
Tod trennt den Ehegatten von seinem Weibe, doch der Tod wird den nicht
erschüttern, der sich mit der Wahrheit vermählt hat.
Seid daher mit der Wahrheit
vermählt und lebt mit der Wahrheit in heiliger Ehe. Der Ehegatte, der sein Weib
liebt und eine immerwährende Verbindung wünscht, muß
ihr treu sein, so wie die Wahrheit selbst; und sie wird sich auf ihn verlassen,
ihn achten und ihm dienen. Und das Weib, das seinen Ehegatten liebt und eine
immerwährende Verbindung wünscht, muß ihm treu sein,
so wie die Wahrheit selbst; und er wird sein Vertrauen in sie setzen, sie ehren
und für sie sorgen. Wahrlich, ich sage euch, ihre Ehe wird heilig und
segensreich sein, ihre Kinder werden wie ihre Eltern sein und von ihrem Glück
Zeugnis geben.
Möge kein Mensch unvermählt sein,
möge jeder in heiliger Liebe mit der Wahrheit vermählt sein. Und wenn Mara, der
Zerstörer, erscheint, um eurem Sein die sichtbare Form zu nehmen, werdet ihr
fortfahren, in der Wahrheit zu leben, und ihr werdet teilhaben am ewigen Leben,
weil die Wahrheit unsterblich ist."
Die Lehre Buddhas hat zur
Befreiung der Frau und zu ihrem Glück mehr als jede andere Lehre in Indien
beigetragen. „Die Frau", sagte Gotama, „kann wie
der Mann die höchste Stufe des Wissens erreichen – sie kann ein Archat (eine
Tara) werden. Freiheit, die sich jenseits von Formen befindet, kann nicht vom
Geschlecht abhängen, das der Welt der Formen angehört." Die Frauen
spielten eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft, und viele hoben sich durch
ihr Wissen und Streben hervor.
Wir zitieren die Antwort Buddhas
auf die Frage der Schülerin Soma: „Wie kann dieser Zustand, der für den Weisen
schwer erreichbar ist, von einer Frau mit ihrem beschränkten Geist erreicht
werden?" – „Wenn das Herz ruhig ist, wenn sich das Bewußtsein
entfaltet, dann erkennt man die Wahrheit. Doch wenn jemand denkt, ich bin eine
Frau oder ich bin ein Mann oder ich bin dies oder jenes, wird er Mara
anheimfallen.
Die Tore der Unsterblichkeit
stehen allen Wesen offen. Wer Ohren hat, soll sich nähern, er möge die Lehre
hören und Vertrauen haben."
* * *
Buddha zeigte die Absurdität des
Vorurteils auf, das Worten mehr Gewicht beimißt, weil
sie von einer steigenden Anzahl von Gelehrten ständig wiederholt werden. Ein
wahrer Gelehrter ist, wer die Vollkommenheit der Erkenntnis erlangt hat, nicht
aber, wer die zuvor abgelehnten Lehrsätze dauernd vor sich hinmurmelt.
„Ich sage zu meinen Schülern: ,Dort ist Nirwana, hier ist der Pfad dorthin.' Von denen,
die ich unterrichte, erreichen einige das Ziel, andere nicht. Was kann ich tun?
Der Gesegnete weist nur den Weg."
„Niemand kann seinen Nächsten
erlösen. Das von einem Menschen verübte Böse befleckt nur ihn selbst. Das Böse,
das er nicht tut, betrifft nur ihn allein. Jeder ist nur vor sich selbst rein
oder unrein. Niemand kann einen anderen läutern."
Läuterung kann man nur durch
einen inneren Prozeß und Arbeit an sich selbst
erlangen. Daher verneinte Buddha jede angeblich in Formeln vorhandene Kraft, die
von Generation zu Generation weitergegeben wurden, „wie ein von Hand zu Hand
gereichter Korb".
* * *
Buddha, der den herkömmlichen
Gottesbegriff ablehnte und die Möglichkeit gänzlicher Befreiung durch
persönliche Anstrengung und unablässige Arbeit an sich selbst bestätigte,
zeigte schon dadurch die Unsinnigkeit äußerer Verehrung auf. Von Anfang an mißbilligte er alle Riten und andere rein äußerliche
Handlungen, die nur einen Rückfall in geistige Blindheit und ein Hängenbleiben
an leblosen Formen bedeuten. Nirgendwo in seiner Lehre gibt es auch nur den
geringsten Hinweis auf persönliche Verehrung. Er sagte: „Die Lehre ist Heil – nicht weil sie von Buddha vermittelt wurde, sondern weil sie
befreit. Der Schüler, der mir folgt und sich an den Saum meines Gewandes
klammert, ist weit weg von mir und ich von ihm. Warum? Weil dieser Schüler mich
nicht sieht. Ein anderer mag hundert Meilen von mir entfernt leben und mir
trotzdem nahe sein und ich ihm. Warum? Weil dieser Schüler die Lehre versteht;
indem er aber die Lehre versteht, versteht er mich."
„Wenn ihr die Wahrheit verstehen
und sie, wie sie ist, aufnehmen könntet, würdet ihr da sagen:
,Wir schulden unserem Lehrer Achtung, und aufgrund dieser Achtung für
ihn sollten wir so sprechen wie der Lehrer?' "
„Nein, Gesegneter."
„Was du bestätigst, ist doch das,
was du erkannt und verstanden hast?"
„So ist es, Gesegneter."
Die Zukunft voraussehend, sagte
Buddha: „Die Lehre ist wie die Flamme einer Fackel, die unzählige Feuer
entzündet. Diese Feuer mögen zum Kochen der Nahrung oder zum Erhellen der
Finsternis verwendet werden, doch die Flamme der ersten Fackel leuchtet so hell
wie zuvor."
Als Feind aller Rituale verneinte
Buddha die reinigende Kraft des Bades. „Ein Mensch wird nicht tugendhaft rein,
indem er sich sehr lange mit Wasser reinigt. Ein reiner Mensch, ein Brahmane,
ist jemand, in dem Wahrheit und Tugend wohnen." „Der Gaya ist die gleiche
Art von Reservoir wie jedes andere."
„Alle eure Regeln", sagte
Buddha zu den Fanatikern, „sind minderwertig und unsinnig. Einige von euch
laufen nackt herum und bedecken sich nur mit den Händen; andere wollen nicht
aus einem Krug trinken oder von einem Teller essen, wollen bei Tisch nicht
zwischen zwei Messern, zwei Tellern oder zwischen zwei Leuten, die ein Gespräch
führen, sitzen; einige wiederum wollen nicht am gemeinsamen Tisch essen und in
einem Hause, in dem es eine schwangere Frau, viele Fliegen oder einen Hund
gibt, keine Almosen annehmen.
Einer ernährt sich nur von
Gemüse, von Reisbrühe, von Kuh- oder Wilddünger, von Wurzeln, Zweigen,
Blättern, Waldfrüchten oder Samenkörnern. Ein anderer trägt sein Gewand lose um
die Schultern geschlungen oder bedeckt sich mit Moos, Baumrinde, Pflanzen oder
Rentierhaut, trägt sein Haar offen oder verwendet ein Haarband. Wieder ein
anderer trägt Trauerkleidung, hält immer die Hände erhoben, setzt sich nicht
auf eine Bank oder eine Matte oder sitzt immer in der Art eines Tieres. Einer
liegt sogar auf stacheligen Pflanzen oder Kuhmist."
„Weitere Hilfsmittel, durch die
ihr euch kasteit und erschöpft, will ich gar nicht aufzählen.
Was erwartet ihr für die
freiwillig auf euch genommene, schwere Mühsal? Ihr erwartet Almosen und Respekt
vom Laien; und habt ihr dieses Ziel erreicht, werdet ihr den Annehmlichkeiten
des vergänglichen Lebens sehr zugetan; ihr wollt euch nicht davon trennen und
kennt die Mittel dafür nicht. Sobald ihr in der Feme Besucher bemerkt, setzt
ihr euch sogleich in Pose und gebt vor, in tiefe Meditation versunken zu sein,
doch sobald sie sich entfernen, tut ihr wieder, was euch beliebt, geht umher
oder ruht euch aus.
Gibt man euch einfache Nahrung,
gebt ihr sie zurück, ohne gekostet zu haben, doch jeden schmackhaften Bissen
behaltet ihr. Obwohl ihr euren Lastern und Leidenschaften nachgebt, kleidet ihr
euch in die Maske der Sittsamkeit. Nein, so wird die wahre Vollkommenheit nicht
erlangt!"
„Asketismus ist nur nützlich,
wenn er keine habsüchtigen Motive verbirgt."
Als Mittel zur Befreiung von den
irdischen Banden hat Askese keinen Wert. Es ist viel schwieriger, einen
geduldigen Menschen zu finden als einen, der sich von Luft und Wurzeln ernährt
oder sich in Rinde und Blätter kleidet. „Kann ein Mensch, der durch Hunger und
Durst geschwächt und zu erschöpft ist, um seine Gefühle und Gedanken zu
beherrschen, das Ziel erreichen, für das ein klares und erweitertes Bewußtsein vonnöten ist?"
„Damit die Saiten einer Vina
einen harmonischen Klang von sich geben, dürfen sie weder überspannt noch zu
locker sein. So verhält es sich mit jeder Anstrengung: Ist sie übermäßig, endet
sie in zweckloser Energieverschwendung; ist sie zu zaghaft, verwandelt sie sich
in Passivität."
„Übt es, Maß zu halten; bewahrt
das rechte Maß an Spannung und sorgt für die Ausgewogenheit eurer Fähigkeiten.
Ein disziplinierter Mensch ist
frei; und ist er frei, so ist er froh, ruhig und glücklich." Buddha
wollte, daß das Leben der Gemeinschaft voll Freude
ist.
Als er die Anweisungen für seinen
Sohn abfaßte, gebot er ihm, Liebe, Mitgefühl, Geduld
und Freude zu bewahren.
* * *
Nach dem Buddhismus kann ein
Mensch eine Tugend nur erlangen, wenn er sie erkennt. Man braucht bei einem
Menschen, der Böses tut, die Hoffnung nicht aufgeben, wenn er weiß, was er tut.
Er sieht etwas falsch, doch zumindest sieht er. Hat er Wissen erlangt, kann er
sein Verhalten ändern. Doch was kann man von einem Menschen erwarten, der mit
geistiger Blindheit geschlagen ist? „Von zwei Menschen, die den gleichen Fehler
begangen haben, ist jener der schlechtere, der ihn nicht erkennt. Von zwei
unschuldigen Menschen ist jener besser, der erkennt, daß
er nicht schuldig ist. Denn man kann nicht erwarten, daß
ein Mensch, der sich als unschuldig ansieht, Anstrengungen macht, ein falsches
Verhalten abzulegen."
Um sich zu heilen, muß man seine Krankheit kennen, doch die Erkenntnis bringt
noch keine Heilung; dieser Prozeß erfordert den
Einsatz des Willens.
Da der Lehrer alle Erscheinungen
als Wechselbeziehungen feinster Energien ansah, schätzte er es bei seinen
Schülern besonders, wenn sie Willensanstrengung zeigten. Er lehrte nie die
Unterdrückung der Leidenschaften als solche, sondern deren Umwandlung und
Verfeinerung, denn jeder Leidenschaft liegt der Energiefunke zugrunde, ohne den
keine Weiterentwicklung möglich ist.
Energie und Wille machen den
Schüler wachsam und fähig zu beständigem Streben. Diese Eigenschaften wappnen
ihn mit Geduld, Stärke und dauernder Beherrschung – drei unentbehrliche
Voraussetzungen, um die Horden Maras zu vernichten, so „wie ein Elefant eine
Bambus-Hütte zertritt". Geduld wird aus Mitgefühl und Wissen geboren.
Über Intoleranz sagt man, daß „die Fehler anderer leicht bemerkt, doch die eigenen
Fehler nur schwer erkannt werden. Ein Mensch durchsiebt die Missetaten seines Nachbarn
wie das Korn mit der Spreu, verbirgt aber seine eigenen, so wie der Betrüger
die falschen Würfel vor den Mitspielern versteckt."
Nirgendwo wird erwähnt, daß wir uns dem Bösen nicht widersetzen sollen, aber
überall wird auf die Ablehnung und aktive Abwehr des Bösen hingewiesen. Man
darf sich nicht dem Leid hingeben, sondern sollte vielmehr mutig an der
Vervollkommnung des Guten arbeiten und sich nicht mit kleinen Leistungen
zufriedengeben. „Wie eine schöne Blume, die farbenprächtig ist, aber keinen Duft
verströmt, so sind die feinen, aber fruchtlosen Worte dessen, der nicht danach
handelt."
„Ich zeigte meinen Schülern den
Pfad, den sie beschreiten müssen, um die vier vollkommenen Bestrebungen zu
offenbaren:
- Das Entstehen des Negativen zu verhindern, auch wenn es
sich noch nicht offenbart hat.
- Dessen Entwicklung aufzuhalten, falls es sich bereits
offenbart hat.
- Die Anzeichen des Guten zu unterstützen, auch wenn es
sich noch nicht offenbart hat
- und das Gute, das
bereits besteht, zu stärken. So entwickelt der Schüler Willen, Strebsamkeit und
Mut, er stärkt sein Herz und kämpft."
Auf keinen Fall können wir Buddha
als schwach bezeichnen. Im Gegenteil, er ist der nie verzagte Führer, der
Kämpfer für die Gemeinschaft und die Sache, der Held der Arbeit und Eintracht.
Buddha hob die Notwendigkeit der
Entsprechung und der Zweckmäßigkeit hervor. Er sagte: „Man sollte weder weniger
noch mehr sein!" Seine Anhänger machten aus dieser Definition der
Ausgewogenheit die beschwerliche goldene Mitte. Doch die goldene Mitte, oder
der mittlere Pfad, sollte als die Verwirklichung der Harmonie verstanden
werden. Buddha empfahl auch den Besitz weniger Dinge, um für sie nicht zu viel
Zeit aufwenden zu müssen. Diesen Ratschlag verdrehten seine Anhänger in Pedanterie.
Buddha verurteilte Fanatiker und riet, mit dem Körper entsprechend den
jeweiligen Anforderungen umzugehen. Sollte der Körper für Reisen geeignet sein,
empfahl er Schlankheit; wo aber Schutz vor verseuchter Atmosphäre nötig war,
befürwortete der Lehrer kräftige Nahrung. In der Lehre Buddhas finden wir nicht
nur eine Philosophie der Materie, sondern auch Anweisungen zur sinnvollen
Verbesserung des Alltagslebens.
Der Lehrer betonte die
Notwendigkeit der Harmonie in den menschlichen Kräften, um ein Höchstmaß an
Wissen und Schönheit zu verwirklichen und um die wissenschaftlich gesehen
absolute Notwendigkeit eines kosmischen Wirtschaftssystems für das
Allgemeinwohl zu gewährleisten.
„In der Güte wird er
Ausgewogenheit erkennen, und wenn er über viele Kräfte verfügt, wird er
Weisheit mit Mitgefühl verbinden."
„Der wohltätige Mensch hat den
Weg der Erlösung gefunden. Er ist wie ein Mensch, der einen jungen Baum pflanzt
und damit Schatten, Blüten und Früchte für die kommenden Jahre sicherstellt.
Genauso ist das Ergebnis der Nächstenliebe, genauso ist die Freude dessen, der
jenen hilft, die Unterstützung brauchen – genauso ist das erhabene
Nirwana."
„Unsterblichkeit kann nur durch
dauerndes, gütiges Wirken erreicht werden, und Vollkommenheit wird durch
Mitgefühl und Nächstenliebe erlangt."
Zeckmäßigkeit und Mitgefühl kommen im
folgenden Dialog lebhaft zum Ausdruck:
„Spricht der Gesegnete je ein
Wort aus, das falsch, destruktiv und unangenehm ist?"
„Nein.
„Wenn es wahr,
destruktiv und unangenehm ist?"
„Auch nicht."
„Wenn es wahr,
nützlich und unangenehm ist?"
„Ja, wenn er es für notwendig
hält."
„Wenn es falsch, vernichtend und
angenehm ist?"
„Nein."
„Wahr, nützlich und
angenehm?"
„Ja, wenn er den Zeitpunkt für
geeignet hält."
„Warum handelt er so?"
„Weil er für alle Wesen Mitgefühl
empfindet."
Die Sutren
enthalten viele Hinweise auf dieses Mitgefühl; man braucht sie nicht alle
aufzuzählen, denn die ungewöhnliche Feinheit und das rührende Verhältnis des
Buddha zu seinem Nächsten kommen in der folgenden Episode klar zum Ausdruck:
Als Chunda,
der Schmied, hörte, daß Buddha nach Pava gekommen war
und sich im Hain aufhielt, ging er zum Gesegneten, erwies ihm seine
Ehrerbietung und bat ihn, am nächsten Tag an seinem Mahl teilzunehmen. Buddha
nahm die Einladung an, und Chunda ging nach Hause und
bereitete für den nächsten Morgen alle erdenklichen Köstlichkeiten vor, unter
anderem auch ein großes Stück saftiges Schweinefleisch. Der Gesegnete kam in
Begleitung seiner Schüler in das Haus des Schmiedes. Er nahm den für ihn
vorbereiteten Platz ein und sagte zu Chunda, dem
Schmied: „Chunda, bring mir das von dir zubereitete
Schweinefleisch, doch den Schülern gib die anderen Köstlichkeiten, die du
vorbereitet hast."
„Ja, Herr", antwortete der
Schmied und machte, was der Tathagata ihm geboten
hatte.
Dann sagte der Gesegnete: „Chunda, vergrabe, was vom Schweinefleisch übrig geblieben ist, denn ich kenne kein Lebewesen außer dem
Tathagata, das es verdauen könnte."
„Ja, Herr", antwortete Chunda, und er vergrub den Rest des Schweinefleischs.
Nachdem der Gesegnete im Haus des
Schmiedes Chunda dieses Essen zu sich genommen hatte,
bekam er eine schwere Magenverstimmung und litt an fürchterlichen Schmerzen. Da
sagte er zu seinem Schüler Ananda: „Erhebe dich, Ananda, wir wollen nach Kusinara gehen." Auf dem Weg dorthin machte der
Gesegnete oft Halt, da er an großen Schmerzen, Durst und anderen Qualen litt.
So erreichten sie den Fluß Kakutshta.
Nachdem er hier gebadet hatte, ging der Gesegnete an den Rand des Haines, legte
sich auf das ausgebreitete Gewand und sagte zu Ananda: „Ananda, kann es sein, daß jemand das Gemüt des Schmiedes Chunda
in Unruhe versetzt hat, indem er sagte: ,Chunda,
welch ein Unglück für dich! Du mußt sehr unglücklich
sein, daß der Tathagata die
Welt der Täuschungen verließ, nachdem er das Mahl in deinem Hause eingenommen
hatte.'"
„Ananda, zerstreue die schweren
Gedanken Chundas durch folgende Worte: ,Freund, du mußt dich freuen,
denn dein Glück liegt darin, daß alles so geschehen
ist. Aus dem Munde des Tathagata selbst hörte ich, daß zwei Speisen, die einem gereicht werden, die gleiche
Wertschätzung und Belohnung verdienen – sie ernten größeren Dank und Segen als
andere. Welche zwei sind das? Jene, nach der ein Tathagata
die höchste und vollkommene Erleuchtung erlangt, und jene, nach deren Genuß er in die Freiheit des Nirwana eingeht.' Mit diesen Worten,
Ananda, sollst du die sorgenvollen Gedanken des Schmiedes Chunda
zerstreuen."
Je tiefer wir in die Lehre des
Gesegneten eindringen, um so deutlicher erkennen wir
das unendliche Mitgefühl und die Liebe, die seine Gedanken und seine Taten
durchdringen. „Ihr sollt so eine unendliche Liebe zu allen Wesen entwickeln wie
eine Mutter, die ihr einziges Kind mit ihrem eigenen Leben schützt!"
Buddhas allumfassende Zuneigung
zu allen existierenden Wesen erstreckte sich auch auf das Pflanzenreich. Er
bemühte sich sehr, niemals Samen oder Pflanzen zu zerstören. Im Anguttara-Nikaya
sagt der Gesegnete: „Wer von meinen Schülern nur für einen Augenblick die den
Geist erlösende Liebe fühlt, der meditiert nicht vergeblich und befolgt die
Grundsätze und die Erziehung des Lehrers; doch noch mehr bewirken jene, die den
Gedanken der Liebe in sich entwickeln!"
Im Itivuttaka steht geschrieben:
„Alle Arten, sich in diesem Leben Verdienste zu erwerben, sind nicht soviel wert wie der sechzehnte Teil der Liebe, der
Befreiung des Geistes. Liebe – die Erlösung des Geistes – nimmt diese in sich
auf, leuchtend, glühend und strahlend."
„Und wie das Leuchten der vielen
Sterne nicht an ein Sechzehntel der Leuchtkraft des Mondes heranreicht, weil
das Mondlicht dieses leuchtend, glühend und strahlend in sich aufnimmt, so sind
alle Arten, sich in diesem Leben Verdienste zu erwerben, nicht soviel wert wie der sechzehnte Teil der Liebe, der
Befreiung des Geistes."
„Liebe, die den Geist befreit,
nimmt sie in sich auf, leuchtend, glühend und strahlend.
Und wie im letzten Monat der
Regenzeit im Herbst die Sonne, die am Firmament aufsteigt, in einem klaren und
wolkenlosen Himmel alle Dunkelheit in der Weite der Atmosphäre vertreibt,
leuchtend, glühend und strahlend; und wie am Ende der Nacht zeitig am Morgen
der Morgenstern leuchtet, glüht und strahlt, so sind alle Arten, sich in diesem
Leben Verdienste zu erwerben, nicht soviel wert wie
der sechzehnte Teil der Liebe, der Befreiung des Geistes. Liebe, die Befreiung
des Geistes, nimmt sie in sich auf, leuchtend glühend und strahlend."
Die Liebe des Buddha strömte so
grenzenlos, daß sie weder durch Haß
noch durch Feindschaft erschöpft werden konnte. Im Gegenteil, solch ein
feindseliger Angriff brachte sie nur zu noch reicherer Entfaltung. Daher gebot
er seinen Schülern, so zu handeln: „Wie immer die Menschen über euch sprechen,
ob angemessen oder unangemessen, ob freundlich oder unfreundlich, ob weise oder
töricht, ob gütig oder boshaft – ihr, meine Schüler, müßt
euch folgendermaßen erziehen. Unser Geist muß
unbefleckt bleiben; nie darf ein böses Wort aus unserem Munde kommen. Wir
werden immer mitfühlend und freundlich bleiben, mit einem liebenden Herzen und
ohne im geheimen Haß zu fühlen; wir wollen die
Menschen in den unerschöpflichen Strom liebender Gedanken eintauchen. Und wenn
wir weiter fortschreiten, werden wir die ganze Welt umarmen und sie ständig mit
Gedanken liebevoller Güte überfluten – weitherzig, umfassend, sich entfaltend,
unbegrenzt wie die Welt, frei von Feindseligkeit, frei von bösem Willen. Darin,
Schüler, müßt ihr euch üben!"
Hier sehen wir, daß die Liebe, die seine Schüler entwickeln mußten, der unerschöpfliche Strom der Güte war, die in alle
vier Himmelsrichtungen, nach oben und unten und über die ganze Welt
ausstrahlte. Nach der Lehre erreichen diese Wellen der Güte, des Mitgefühls
oder der Freude, die in den Raum gesandt werden, ein von Sorge und Kummer
geplagtes Herz, das plötzlich Frieden und Gelassenheit in sich verspürt.
Der Gedanke ist Energie, und als
Energie wirkt er entsprechend seiner Stärke und der ihm verliehenen
Antriebskraft.
Liebe – als Erlösung des Geistes –
wie sie vom Gesegneten gelehrt wird, lag jeder wirklichen Großtat zugrunde.
„Das Größte von allem ist das
liebende Herz."
* * *
Eine weitere Begebenheit aus
Buddhas Leben wurde folgendermaßen überliefert: „Eines Tages saß der Gesegnete
am Ufer eines großen Sees, in dessen Tiefen man eine eigene Welt aus Fischen
und Wasserpflanzen erkennen konnte. Gotama bemerkte,
wie sehr diese kleine Welt dem Hofe eines Königs ähnelte. ,Wenn
hier ein Mensch untergeht, so würde er mit seinen Füßen diese vergänglichen
Behausungen zerstören, doch zugleich würde er selbst ertrinken. Aus solchen
Tiefen erhebt sich der Geist des Menschen nicht mehr.'
,Doch gegen alles', lächelte der
Lehrer, ,gibt es ein Heilmittel. Man kann den Felsen zertrümmern und den See
trockenlegen. Die Schnecken müssen dann entweder vertrocknen oder sich einen
anderen Platz zum Leben suchen. Aber die Menschen werden nicht zugrunde gehen.'"
* * *
In den buddhistischen Schriften
werden sechs Lehrer und Philosophen oft als ständige Widersacher Buddhas
erwähnt. Es waren jene Philosophen, welche die theoretischen Grundlagen der
Lehre Buddhas in Frage stellten. Zwei Hypothesen in der Lehre des Gotama Buddha waren besonders heftigen Angriffen
ausgesetzt: seine Lehre von den Ursachen und seine Ablehnung einer unabhängigen
und unveränderlichen Seele im Menschen und im Universum – genau die Hypothesen,
die unserem gegenwärtigen Denken so nahekommen.
Während der Lehrer
die uns umgebende und für alle sichtbare Realität bestätigte, betonte er die
Existenz der feinsten Wirklichkeit, die nur durch höheres Wissen zugänglich
wird. Die Kenntnis dieser Realität und den Besitz dieses höheren Wissens können
unsere groben Sinnesorgane gewöhnlich nicht aufnehmen.
„Wenn das, was von unseren
Gefühlen wahrgenommen wird, die einzige, existierende Realität wäre, dann wäre
der Narr von Geburt an im Besitz der grundlegenden Wahrheit. Was für einen Sinn
hätte dann alles Streben nach der Erkenntnis des Wesens der Dinge?"
In unserem Gehirn gibt es
Zentren, deren Öffnung den Besitz unwandelbaren Wissens ermöglicht. Diese
Feststellung zeigt erneut, daß der Lehrer eine rein
wissenschaftliche Richtung verfolgte, denn sie steht im Einklang mit den
Aussagen zeitgenössischer Wissenschaftler betreffend die vielen Zentren in
unserem Organismus, deren Funktionen zwar noch unbekannt sind, aber von denen
man annehmen darf, daß sie aufgrund der Wichtigkeit
der Lage, die sie einnehmen, von außergewöhnlicher Bedeutung sind.
Die Buddhisten haben vom
Gottesbegriff eine eigene Auffassung, die mit dem Karmagesetz und dem Verstehen
der Notwendigkeit, sich persönlich für seine eigene Befreiung einzusetzen,
übereinstimmt. „Wer formt unser Leben? Ist es Isvara –
ein persönlicher Schöpfer? Wäre Isvara der
Erschaffer, müßten sich alle Lebewesen schweigend der
Macht ihres Schöpfers unterwerfen. Sie wären wie Gefäße, die die Hand des
Töpfers geformt hat; und wenn dem so wäre, wie könnte es dann
möglich sein, sich in Tugend zu üben? Wenn die Welt durch Isvara erschaffen worden ist, dürfte es weder Leid noch
Elend noch Sünde geben; denn sowohl reine als auch unreine Taten müßten aus ihm hervorgehen. Wenn dem nicht so wäre, dann
gäbe es eine andere Ursache außer ihm, und er würde nicht allein aus sich
heraus existieren. So siehst du, daß die Vorstellung
von Isvara verworfen werden muß."
„Man sagt, daß
das Absolute uns erschaffen hat. Doch was absolut ist, kann keine Ursache sein.
Alle uns umgebenden Dinge entstammen einer Ursache, wie die Pflanze aus dem
Samenkorn entsteht; doch wie kann das Absolute in gleichem Maße die Ursache
aller Dinge sein? Wenn es sie durchdringt, dann hat es sie sicherlich nicht
erschaffen."
„Man sagt, daß
das Selbst der Schöpfer ist. Doch wenn das Selbst der Schöpfer ist, warum hat
es dann nicht angenehme Dinge geschaffen? Die Ursachen von Freude und Leid sind
real und objektiv. Wie können sie dann vom Selbst geschaffen worden sein?"
„Wenn wir nun dem Argument
folgen, daß es keinen Schöpfer gibt, unser Schicksal eben so ist, wie es ist, und es keine Ursächlichkeit gibt,
welchen Sinn hätte es dann, unser Leben zu gestalten und unsere Anstrengungen
entsprechend auszurichten?"
„Deshalb behaupten wir, daß jedes Wesen, das existiert, eine Ursache hat. Doch
weder Isvara noch das Absolute noch das Selbst noch
ursachenloser Zufall ist der Erschaffer, sondern unsere Taten bringen
Ergebnisse hervor, sowohl gute als auch schlechte."
„Die ganze Welt unterliegt dem
Gesetz der Kausalität und der Ursachen, die mentaler oder nicht mentaler Natur
sind – das Gold, aus dem die Schale gemacht ist, ist durch und durch Gold. Wir
wollen uns nicht in fruchtlosen Spekulationen über unwichtige Spitzfindigkeiten
verlieren; wir sollten unser Selbst und die Selbstsucht aufgeben, und da alle
Dinge durch Kausalität geregelt werden, wollen wir Gutes tun, damit Gutes aus
unseren Taten hervorgeht."
Wenn die sich ewig verändernde
Existenz des Menschen die Hypothese einer konstanten, unveränderlichen Einheit
ausschließt, dann könnte das Universum, der Inbegriff des Ganzen, erklärt
werden ohne die Notwendigkeit oder auch nur die Möglichkeit, darin ein
unveränderliches und ewiges Wesen einzubauen.
Besonders zwei Thesen sind von
Buddha verurteilt worden:
1. Die Bejahung einer ewigen
unwandelbaren Seele.
2. Die Auflösung der Seele nach dem
Tod.
Beide Thesen wurden durch das
Gesetz der kausalen Schöpfung widerlegt, welches bestimmt, daß
alle Dharmas gleichzeitig Ursachen und Wirkungen darstellen.
Buddha verneinte die Existenz
einer unveränderlichen Seele im Menschen und in allem, weil er im Menschen und
im ganzen Universum nur Unbeständigkeit und Vergänglichkeit sah.
Die These von der Kontinuität des
Stromes der Erscheinungen sowie das Gesetz von der Kausalität der Entstehung
schließen die Existenz einer ewigen, unveränderlichen Seele aus, sowohl
individuell als auch universell.
Die mit dem Wort „Seele"
zusätzlich verbundene Vorstellung ist für den Buddhisten absolut unzulässig;
denn die Vorstellung, daß der Mensch ein von allen
anderen Wesen und vom ganzen Universum abgetrenntes Wesen ist, kann weder
logisch bewiesen noch wissenschaftlich untermauert werden. „In dieser Welt ist
niemand und nichts unabhängig. Alles, was besteht, hängt von Ursachen und
Bedingungen ab.
„Jedes Ding hängt von einem
anderem ab, und das, von dem es abhängt, ist seinerseits nicht
unabhängig."
Buddha lehrte stets, daß es kein unabhängiges „Ich" und keine vom Ich
getrennte Welt gibt. Es gibt nichts Unabhängiges und kein isoliertes Leben – alle
Dinge stehen in unlösbaren Wechselbeziehungen. Und wenn es kein isoliertes
„Ich" gibt, können wir nicht sagen: Dies oder jenes gehört mir! – und
dadurch wird die Quelle des Eigentumsbegriffes unbrauchbar.
Wenn die Vorstellung von einer
unvergänglichen und unabhängigen, menschlichen Seele abzulehnen ist, was gibt
dem Menschen dann das Gefühl, eine fortdauernde Persönlichkeit zu sein? Man
wird die Antwort in trishna, dem Hunger nach dem
Leben, finden. Ein Wesen, das Ursachen geschaffen hat, für die es
verantwortlich ist, und das dieses Verlangen besitzt,
wird, entsprechend seinem Karma, wiedergeboren.
Aus ein und demselben Komplex von
Elementen (Dharmas) werden unzählige Verbindungen von Skandhas
geboren – Elemente, die sich zu gegebener Zeit als eine Persönlichkeit
offenbaren und nach einer bestimmten Zeitspanne als zweite, dritte, vierte etc.
erscheinen, ad infinitum. Was geschieht, ist keine
Wanderung, sondern eine endlose Umwandlung eines Komplexes von Dharmas bzw.
Elementen – also
eine fortlaufende Wiedergruppierung der Elemente – das sind die Substanzen, die
die menschliche Persönlichkeit bilden.
Auf die Qualität dieser neuen
Verbindung von Skandhas, den Elementen der neuen
Persönlichkeit, hat der letzte Wunsch vor dem
Tod der vorhergehenden Persönlichkeit einen starken Einfluß; er lenkt den freigewordenen Strom in eine
bestimmte Richtung.
Im Buddhismus wird der Mensch als
Individualität betrachtet, die sich aus zahlreichen Leben zusammengesetzt hat,
sich aber bei jedem neuen Erscheinen im irdischen Bereich nur teilweise
offenbart.
Die individuelle Existenz, die
aus einer ganzen Kette von Leben besteht, die begonnen haben, sich fortsetzen
und enden, um wieder anzufangen, ad infinitum, wird
mit einem Rad oder einem Jahr mit zwölf Monaten verglichen, das sich ständig
wiederholt. Die Kette der „zwölf Nidanas" ist
keine Kette mehr, sondern das Rad des Lebens, mit zwölf Speichen. Einmal in
Bewegung versetzt, wird das Rad des Lebens, das Rad des Gesetzes, nie mehr
anhalten: „Das Rad des Wohltätigen Gesetzes zermalmt in seiner unveränderlichen
Drehung unermüdlich die wertlose Spreu und trennt sie vom goldenen Korn. Die Hand
des Karma lenkt das Rad, seine Umdrehungen drücken
seinen Herzschlag aus."
Dieser ganze Wandel der Formen
oder des Seins führt zu einem Ziel – dem Erreichen von Nirwana; das bedeutet
die volle Entfaltung aller im menschlichen Organismus enthaltenen Möglichkeiten.
Abgesehen von diesem Ziel lehrt der Buddhismus, Gutes zu erkennen und zu
schaffen, denn das Gegenteil wäre absoluter Egoismus, und diese berechnende
Überlegung ist von vornherein zur Enttäuschung verurteilt. Es heißt: Nirwana
ist der Inbegriff der Selbstlosigkeit und bedeutet völligen Verzicht auf alles
Persönliche um der Wahrheit willen. Ein unwissender
Mensch erträumt und erstrebt Nirwana, doch ohne sich dessen wahren Wesens bewußt zu werden. Gutes zu tun, nur um Ergebnisse zu
erzielen, oder ein tugendhaftes Leben zu führen, um Erlösung zu erlangen – das
ist nicht der von Gotama gewiesene Weg. Man muß ohne einen Gedanken an Belohnung oder persönliche
Bestätigung durchs Leben gehen, so ein Leben ist am wertvollsten.
Den Zustand von Nirwana kann der
Mensch in seinem irdischen Leben erreichen.
* * *
Der Buddhismus macht keinen
Unterschied zwischen der physischen und der psychischen Welt. Die der
Gedankentätigkeit zugeschriebene Realität ist von derselben Art wie die
Realität der Gegenstände, die unsere Sinne erfassen können. Der Gesegnete
sagte: „Wahrlich, ich sage euch, euer Geist besteht aus Geist, aber das, was
ihr mit euren Sinnen wahrnehmt, ist ebenfalls Geist. Es gibt nichts innerhalb
oder außerhalb der Welt, das nicht Geist ist oder Geist werden kann. In allem
Sein ist Geistigkeit vorhanden, und selbst der Lehm unter unseren Füßen kann in
Kinder der Wahrheit verwandelt werden."
Der Buddhismus sieht alle
bestehenden Phänomene als eine Wirklichkeit an. Physisch und psychisch sind
diese Phänomene Dharmas, Objekte unserer Erkenntnis. In uns und außerhalb von
uns kommen wir nur mit Dharmas in Berührung, da in uns und um uns nichts als
Dharma existiert. Das Wort „Dharma" ist eines der wichtigsten in der
buddhistischen Terminologie und sehr schwierig zu übersetzen. Dharma ist ein
vielfältiger Begriff, ein Begriff des Bewußtseins,
dem die Fähigkeit eines bestimmten Ausdrucks innewohnt. Durch unsere Organe
erreichen uns Empfindungen, die durch die Tätigkeit der Erkenntnis in Dharmas
verwandelt werden. Ideen, Vorstellungen und alle intellektuellen Vorgänge sind
in erster Linie Dharmas.
Was Farbe und Form für das Auge
und der Ton für das Ohr ist, das sind Dharmas für das Bewußtsein.
Sie existieren für uns durch ihre Wirkungen. „Die Farbe Blau existiert nur in
dem Ausmaß, in dem wir die Wahrnehmung Blau empfangen."
Es ist üblich, die Lehre Buddhas
selbst Dharma zu nennen, da Dharma
auch Gesetz bedeutet.
Subjektive und objektive
Erscheinungen verändern sich ständig. Sie sind real; doch ihre Realität ist nur
augenblickshaft, denn alles, was existiert, ist nur Teil einer ewig vor sich
gehenden Entwicklung – Dharmas erscheinen für einen Moment, um sich im nächsten
schon wieder zu verändern. Dieser Grundsatz des ewigen Wandels aller Dinge war
ein so grundlegender Wesenszug der Lehre, daß sie
sogar „Die Theorie der augenblicklichen Zerstörung" genannt wurde.
Dharmas (transzendentale Träger
bestimmter Eigenschaften) werden in den Strom des ewigen Wandels der
Schwingungen hineingezogen.
Ihre Zusammensetzungen bestimmen die Besonderheiten der
Dinge und Individuen. Nur was jenseits dieser Verbindungen liegt, ist
unveränderlich. Die alte Lehre kannte nur einen Begriff, der ganzheitlich,
unbedingt und ewig ist – Nirwana.
Jedes Dharma ist eine Ursache,
denn jedes Dharma ist Energie. Da diese Energie jedem bewußten
Wesen innewohnt, manifestiert sie sich auf zweifache Weise: äußerlich, als die
unmittelbare Ursache der Erscheinung; innerlich, durch Umwandlung dessen, was
sie hervorgebracht hat, und dadurch, daß sie die
Wirkungen enthält, die in naher oder ferner Zukunft enthüllt werden.
Festzuhalten ist, daß der physische und psychische Organismus eines Menschen
nur die Verbindung von fünf Gruppen von Aggregaten oder Skandhas
darstellt, die sich in physische Eigenschaften untergliedern lassen: Form – Rupa, Gefühle – Vedana,
Wahrnehmungen – Samjna, Kräfte – Samskara,
Bewußtsein – Vijnana. Alle
fünf Gruppen sind gleich unbeständig und dual. Samskara
sind die Neigungen und schöpferischen Kräfte, sie erklären die gegenwärtigen
Dharmas durch die vorhergehenden und geben an, welche von den gegenwärtigen
Dharmas jene der Zukunft vorbereiten.
„Samskara
sind die von früheren Empfindungen hinterlassenen Aufspeicherungen, sie
verleihen künftigen Empfindungen ihre Färbung." Aus dieser Definition von Samskara-Skandha geht klar hervor, daß
diese Elementgruppe als diejenige erscheint, die alle Eigenheiten der anderen Skandhas absorbiert. Samskara-Skandhas
(Kausalkörper) – die Erhaltung dieser Gruppe von Skandhas
ist durch die Notwendigkeit der Offenbarung bedingt; wenn diese Notwendigkeit
aufhört, werden sie in reines Licht umgewandelt. Vijnana-Skandha
und teilweise Samjna verleihen den anderen
Verbindungen ihre Färbung oder Eigenart und bestimmen so im Sinne der
Bestrebungen und Neigungen die nächste Existenz.
„Rupa
ist wie ein Teller; Vedana wie die auf dem Teller
servierte Speise; Samjna ist wie eine Sauce; Samskara ist wie der Koch und Vijnana
wie der Esser." Der Gesegnete sagte: „Sankharas
entstehen durch einen Entwicklungsprozeß. Es gibt
kein Sankhara, das plötzlich entstanden ist, ohne
allmähliches Werden. Deine Sankharas
sind das Ergebnis deiner Taten in früheren Existenzen. Die Verbindung deiner Sankharas ist dein Selbst. Wo immer sie sich einprägen,
dorthin wandert dein Selbst. In deinen Sankharas
wirst du fortfahren zu leben, und du wirst in künftigen Existenzen
die jetzt und in der Vergangenheit ausgestreute Saat ernten."
Kein Element wird von einer
Existenz in die andere übertragen, aber keines erreicht ein neues Sein, ohne im
früheren Leben seine Ursache gehabt zu haben. Wenn das alte Bewußtsein
zu bestehen aufhört, bedeutet das den Tod. Wenn aber das Bewußtsein
zum Sein zurückkehrt, findet eine neue Geburt statt. Man muß
verstehen, daß das gegenwärtige Bewußtsein
nicht aus dem alten geboren wurde, sondern daß sein
gegenwärtiger Zustand das Ergebnis der in der vorherigen Existenz
aufgespeicherten Ursachen ist.
Es gibt keine Übertragung von
einem Leben ins andere, sondern eine scheinbare Widerspiegelung, eine
Zusammengehörigkeit.
„Der Mensch, der sät, ist nicht
derjenige, der erntet; aber er ist auch kein anderer Mensch."
Der Inhalt des Bewußtseins besteht aus Dharmas. Dharmas sind Gedanken.
Diese Gedanken sind genauso real wie die vier Elemente oder die Sinnesorgane;
denn sobald etwas gedacht wird, existiert es bereits. Der Mensch ist ein
Komplex von Verbindungen, und in jedem Augenblick wird sein Wesen von der
Anzahl und der Qualität der Teilchen, aus denen er sich zusammensetzt,
bestimmt. Jede Veränderung in diesen Verbindungen macht ihn zu einem neuen
Wesen. Doch diese Veränderung schließt die Kontinuität nicht aus, denn die
Bewegung der Skandhas geschieht nicht zufällig oder
jenseits des Gesetzes. In den ewigen Strom von Ebbe und Flut hineingezogen,
verändern sich die Aggregate entweder in der einen oder anderen Richtung, wobei
die Beschaffenheit jeder neuen Verbindung durch eine Ursache bestimmt wird. Und
diese Ursache besteht in der Qualität der vorhergehenden Ursache. Jede auf eine
andere folgende Verbindung erntet die Früchte der vorhergehenden Verbindungen
und sät die Saat, die in den zukünftigen Verbindungen Früchte tragen wird.
Der Mensch ist ein Komplex von
Verbindungen und gleichzeitig das Bindeglied. Er ist ein Komplex, weil er jeden
Moment aus einer großen Anzahl von Skandhas besteht;
er ist das Bindeglied, weil zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Zuständen
gleichzeitig ein Unterschied und eine Verbindung besteht. „Gäbe es keinen
Unterschied, dann würde die Milch nicht gerinnen. Und gäbe es keine Verbindung,
dann gäbe es für die Milch keine Notwendigkeit, als geronnene Milch zu
existieren."
Wir wollen dies durch ein
weiteres Beispiel erklären: Physiologisch verändert sich der menschliche
Organismus alle sieben Jahre vollständig; und doch ist der Mensch A mit vierzig
Jahren absolut identisch mit dem achtzehnjährigen Jugendlichen A.
Nichtsdestoweniger ist er auf Grund der ständigen Zerstörung und Erneuerung
seines Körpers und der Veränderungen in seinem Geist und Charakter ein anderes
Wesen. Der Mensch ist im hohen Alter exakt das Resultat der Gedanken und Taten
jedes vorangegangenen Lebensabschnitts. Ebenso erntet die neue Persönlichkeit,
die die gleiche Individualität, doch in veränderter Form ist, – in einer neuen
Verbindung von Skandhas (Elementen) genau die
Wirkungen der Gedanken und Taten in ihren vorangegangenen Existenzen.
Das Bewußtsein
und sein sich ewig verändernder Inhalt sind eins. Doch gibt es kein
fortdauerndes „Ich", das unveränderlich bleibt. Der Embryo muß sterben, damit das Kind geboren werden kann; das Kind muß sterben, damit der Knabe geboren werden kann, und der
Tod des Knaben bringt den Jüngling hervor.
Die menschliche Existenz läßt sich mit einem Halsband vergleichen – jede Perle
stellt eine physische Erscheinung dar. Doch vielleicht ist es klarer, sich
diese Evolution wie ein komplexe Mixtur vorzustellen,
der mit jeder neuen Verkörperung auf der irdischen Ebene ein neuer Bestandteil
hinzugefügt wird, wodurch natürlich die Mixtur als Ganze verändert wird. Jede
neue Erscheinung wird durch physische Elemente, Rupa-Skandha,
begrenzt.
* * *
Die Energie, die danach strebt,
ein neues Wesen zu schaffen, und von Karma gelenkt wird, wird „trishna" – der Antrieb, der Hunger nach dem Leben –
genannt. Und wenn dieser Antrieb vom Geist der Lehre durchdrungen wird, erhebt
sich vor uns nicht nur das größte kosmische Prinzip, sondern auch das
großartigste und schönste, kosmische Geheimnis. Daher betonte Gotama Buddha, der immer wieder auf den ewig
dahinbrausenden Strom unserer Leben hingewiesen hat, die kosmische Eigenschaft
und als Folge die Unendlichkeit dieses Antriebs, was viele, die die Lehre
falsch wiedergeben, verheimlichen wollen; doch der feurige Geist des Lehrers
konnte engstirnige Begriffe nur vernichten, indem er sie bis zur Unbegrenztheit
erweiterte. Und Nirwana ist das Tor, das uns in den Rhythmus des höchsten,
feurigen, schöpferischen und sich ewig entfaltenden Stroms des unbegrenzten
Seins hineinführt.
Die Lehre des Buddha ist ein
unermüdlicher, feuriger Aufruf zur Verwirklichung des Schönen und zur
Vereinigung mit der großartigen Schöpferkraft des unbegrenzten Seins.
* * *
Was ist Karma? Die Wirkung der
Folgen dessen, was der Mensch in Gedanken, Worten und Taten tut. Die innere
Wirkung offenbart sich, wie vorher aufgezeigt, nur in bewußten
Wesen. Daraus ergibt sich die enorme Verantwortung des Menschen gegenüber
allem, was existiert, und vor allem sich selbst gegenüber. „Das, was ich Karma
nenne, ist nur Gedanke; denn da der Mensch die Fähigkeit des Denkens hat,
handelt er durch seinen Körper, durch Worte und den Geist." Karma entsteht
durch Gedanken. „Es gibt keinen Lohn für den, der Gold gibt, wenn er dabei
glaubt, einen Stein zu geben." Die Richtung der Gedanken verleiht dem
Menschen seinen sittlichen Wert, der durch Taten in
die eine oder andere Richtung verändert wird.
„Eine gute Tat offenbart sich und
wird vollendet. Und wenn sie selbst auch nicht mehr gegenwärtig ist, so bleiben
dennoch ihre Auswirkungen bestehen. Zum Zeitpunkt der Tat entsteht im ,Strom' dieses Menschen eine bestimmte Verbindung von
Dharmas." Darin ist die Unzerstörbarkeit der Tat enthalten. Daher
erweitert der Buddhismus das rein mechanische Verständnis von Ursache und
Wirkung durch Verantwortung. Eine dieser Verbindungen oder Anhäufungen, die wir
als Individuum bezeichnen, wird entweder positiv oder negativ beeinflußt durch die Wirkungen der vorhergehenden
Verbindung, mit der sie eng verknüpft ist. „Ich lehre nichts als Karma."
Die Beharrlichkeit, mit der
Buddha seinen Schülern das Verständnis für die sich aus dem Karmagesetz
ergebende, sittliche Verantwortung einzuprägen versuchte, beweist, daß darin die ursprüngliche Wahrheit enthalten ist,
unabhängig und absolut – eine Wahrheit, die alle Handlungen des Menschen
bestimmen muß. „Die sittliche Kraft einer Tat zu
bezweifeln bedeutet, unsere Augen vor dem Offensichtlichen zu
verschließen."
„Alle Wesen haben ihr Karma. Sie
sind die Erben und die Kinder ihrer Taten; sie sind von ihren Taten völlig
abhängig. Taten bewirken die Unterschiede zwischen niederen und höheren
Wesenheiten."
„Aus dem, was war, wird
geschaffen, was ist. Der Mensch wird geboren entsprechend dem, was er
geschaffen hat. Alle Wesen haben Karma als Erbe."
„Nicht nur Samen und Frucht
entsprechen einander genau, sondern auch die Tat, wie jeder gute Samen,
vermehrt sich hundertfach."
Jeder Mensch erhält durch die
Wirkung des unbeirrbaren Karma ganz genau das, was ihm
zusteht, alles, was er verdient, nicht mehr und nicht weniger. Nicht eine gute
oder schlechte Tat, so unbedeutend sie auch sein mag, so geheim sie auch
ausgeführt wird, entgeht der genauen Waage von Karma. Karma ist Kausalität und
wirkt auf der geistigen, auf der physischen und auch auf anderen Ebenen. Die Buddhisten
sagen, daß es in menschlichen Taten keine Wunder
gibt; was der Mensch gesät hat, das wird er ernten. „Es gibt keinen Platz auf
der Erde oder im Himmel oder unter Wasser oder im Innersten der Berge, wo eine
üble Tat dem, der sie verübt hat, nicht Leiden bringt."
„Beleidigt ein Mensch eine
harmlose und unschuldige Person, so kommt das Böse zurück auf diesen Narren,
wie gegen den Wind geworfener, leichter Staub."
„Das Böse, das verübt wird,
gerinnt, wie frisch gemolkene Milch, nicht sogleich. Es folgt dem Toren dicht
auf den Fersen, wie ein schwelender Funke, der schließlich in eine Flamme
ausbricht."
Ein törichter Mensch, der hörte, daß Buddha den Grundsatz der großen Liebe befolgte, nämlich
Böses mit Gutem zu vergelten, kam und beschimpfte ihn. Buddha verhielt sich
ruhig und bedauerte die Dummheit dieses Menschen.
Nachdem der Mann mit seinen
Beschimpfungen aufgehört hatte, fragte ihn Buddha: „Sohn, wenn ein Mensch ein
ihm dargebotenes Geschenk ablehnt, wem gehört es dann?" Der andere antwortete:
„Es gehört demjenigen, der es angeboten hat."
„Mein Sohn", sagte Buddha,
„du hast mich beschimpft, doch ich weigere mich, deine Beschimpfungen
anzunehmen, und fordere dich auf, sie für dich zu behalten. Werden sie für dich
aber nicht eine Quelle des Elends sein? Wie das Echo zum Klang und der Schatten
zur Materie gehört, so wird unausweichlich Elend über den Übeltäter
kommen."
„Ein böser Mensch, der einen
tugendhaften beschimpft, ist wie ein Mensch, der aufschaut und den Himmel
anspuckt; doch die Spucke beschmutzt nicht den Himmel, sondern sie fällt zurück
und besudelt die eigene Person."
„Der Verleumder ist wie jemand,
der gegen den Wind Staub auf einen anderen wirft. Der Staub kehrt zu dem
zurück, der ihn geworfen hat. Der tugendhafte Mensch kann nicht verletzt
werden, und das Elend, das ihm der andere zufügen will, kommt auf letzteren
zurück."
Buddha sagte über Toleranz: „Ehre
deinen Glauben, doch verleumde nie den der anderen."
* * *
Grundsätzlich kehren die Menschen
zur Erde zurück, bis ihr Bewußtsein über die irdische
Ebene hinauswächst. Buddha wies darauf hin, daß es
ganze Systeme von Welten gibt, die sich auf verschiedenen Stufen befinden – der
höchsten und der niedersten – und daß die Bewohner
jeder Welt in ihrer Entwicklungsstufe zueinander passen. Die Welt, in der ein
bestimmter Mensch inkarnieren muß, und die Art der
Reinkarnation selbst werden durch das Überwiegen seiner positiven oder
negativen Eigenschaften bestimmt, in der Sprache der Wissenschaft – die Geburt
wird durch seine wahre Anziehungskraft gelenkt, oder durch sein Karma, wie die
Buddhisten sagen.
Wie ein Verbrechen stellt auch
Reue eine Tätigkeit dar; und diese Tat hat Wirkungen, die die Folgen des
Verbrechens ausgleichen können. Buddha sagte: „Wenn ein Mensch, der Böses getan
hat, seinen Fehler erkennt, reumütig ist und Gutes tut, schwächt sich die
Wirkung seiner Strafe allmählich ab, wie ein Fieber, das seine zerstörende
Wirkung in dem Maße, wie der Patient schwitzt, nach und nach verliert."
Karma ist Gedanke; deshalb kann
die Qualität des Denkens den Menschen verändern oder ihn sogar völlig von den
Wirkungen des Karma befreien. Würden sich Taten
übereinander ansammeln, dann wäre der Mensch durch sein Karma wie in einem
Zauberkreis eingeschlossen. Doch indem Buddha lehrte, daß
es einen Bewußtseinszustand gibt, der die Rückwirkung
begangener Taten vernichten kann, zeigte er die Möglichkeit auf, menschliches
Leid zu beenden. Wille und Energie entscheiden über Karma. Aus diesen
Ausführungen geht klar hervor, daß das Karmagesetz
und das Gesetz der Reinkarnation untrennbar miteinander verbunden sind, denn
das eine ist die logische Konsequenz des anderen.
* * *
Unter einigen westlichen
Gelehrten war es verbreitet, den Buddhismus als die Lehre der Hoffnungslosigkeit
und Untätigkeit anzusehen, was jedoch mit seinem grundsätzlichen Wesen
überhaupt nicht in Einklang steht. Buddha, der oberste Vertreter des
Allgemeinwohls, enthüllte der Menschheit furchtlos die wirklichen Gefahren des
Daseins und offenbarte gleichzeitig den Weg, sie zu vermeiden – dieser Weg ist
Wissen. Wer könnte den Menschen, der uns am Rande des Abgrunds Einhalt
gebietet, einen Pessimisten nennen?
„Die Menschen leben in einem
Haus, das von Flammen umzingelt wird; trotzdem empfinden sie weder Furcht noch
Scheu. Sie wissen es nicht; sie sind leichtfertig; sie haben keine Angst; sie
versuchen nicht, sich selbst zu retten; sie suchen Vergnügungen und irren in
allen möglichen Richtungen dieser dreiteiligen Welt umher, die einem Haus
ähnelt, das von Flammen eingeschlossen ist."
„Die Narren glauben, daß sich Leid nur in Schmerzgefühlen äußert. Ihre Gefühle
sind verzerrt. Sie sind wie ein kranker Mensch, der sich einbildet, Zucker sei
bitter. Ein Wollteilchen, das sich auf der Hand niederläßt,
ist nicht wahrnehmbar, doch wenn es ins Auge kommt, verursacht es starke
Schmerzen. Die Handfläche ist wie ein unwissender Mensch, das Auge wie ein
Weiser. Nur der Weise ist angesichts des Leids in der Welt tief
betroffen."
Wenn jemand nach diesen
Erläuterungen Buddha einen Pessimisten nennt, wäre er wie jene unwissenden
Menschen, die den Doktor töten, der kommt, um die heilende Impfurig
vorzunehmen. Und dieselben Menschen, die dazu neigen, der Lehre den Stempel der
Hoffnungslosigkeit aufzudrücken, zitieren die Aussage Buddhas: „Ich bin der
Zerstörer des Alters und des Todes. Ich bin der beste Arzt. Ich besitze die
besten Mittel."
„Trinkt, ihr Gequälten, trinkt
die Medizin der Wahrheit und, wenn ihr daran teilhabt, lebt! Wenn ihr sie
aufgesogen habt, werdet ihr Alter und Tod überwinden."
Wir zitieren die anerkannte
Meinung des Abts des Klosters Kamakura Soyen-Shaku:
„Der Buddhismus ist die vernünftigste und logischste Lehre der Welt."
Die Lehre Buddhas, deren ganze
Struktur von der Bejahung des selbständigen menschlichen Wesens, das in seinem
kosmischen Maßstab den fernen Welten zustrebt, durchdrungen ist, ist voll
wahrer Größe und Schönheit.
Natürlich wird die Frage
auftauchen, wie der Lehrer der Schönheit in ihrer irdischen Ausformung
gedachte. Es ist überliefert, daß die Gedanken des
Lehrers selbst in der Stunde des Todes auf das Schöne gerichtet waren; er
dachte an die Schönheit der herrlichsten Orte, an denen er vorbeigekommen war.
„Schön ist Rajagriha,
die Geierspitze, die Räuberklippe; schön sind die Haine und Berge."
„Vaisali,
was für ein wunderbarer Ort!"
Alle alten philosophischen Lehren
bejahten das Karmagesetz und das Gesetz der endgültigen Befreiung, doch der
Wert der Lehre Buddhas liegt darin, daß sie sich,
ohne die Grundlagen all dieser wissenschaftlichen und philosophischen Thesen zu
verletzen, der Welt zuwandte, der irdischen Arbeit, und aufzeigte, daß man nur durch tatsächliche, anstrengende Arbeit und
persönliche Weiterentwicklung wirklich Fortschritte machen kann; auf diese
Weise betonte Buddha, daß die Evolution der
Menschheit ein organischer Teil des Kosmos ist.
Das von Buddha in bezug auf den Kosmos und die
menschliche Existenz so oft verwendete Wort Strom
bedeutet nichts anderes als der Begriff, den wir mit unserem Wort Evolution umschreiben.
Buddha sagte: „Der Kontakt
zwischen kosmischer Umwandlung und psychischer Energie schafft die
Voraussetzungen für einen erfolgreichen Strom."
Sie wie frühere Lehren die Erde
den Menschen entfremdet haben, so erweist sich Buddha als wahrer Pflüger
unserer Erde, der die Grundlage für bewußte und
wirkliche Arbeit legt. Hierher paßt der Ausdruck, mit
menschlichen Händen und Füßen". Und darin liegt der einzigartige Wert der
Lehre und der Arbeit des Gotama Buddha. Es gibt
keinen schöneren Aufruf an die Welt als diese ständig wiederholte Beteuerung:
„Brüder, ich komme nicht, um euch irgendwelche Dogmen anzubieten, und ich bitte
euch nicht darum, an das zu glauben, woran so viele andere glauben. Ich ermahne
euch nur, euch ohne Vorurteil aufzuklären, d.h. euren eigenen Geist zu
gebrauchen und ihn zu entwickeln, anstatt ihn abstumpfen zu lassen. Ich
beschwöre euch, nicht wie Raubtiere oder dumme Schafe zu sein. Ich flehe euch
an, Menschen mit guten Absichten zu sein, Menschen, die unermüdlich danach
streben, wirkliches Wissen zu erlangen, welches den Sieg über das Leid davontragen
wird."
Wir interessieren uns hier nicht
für die nachträglichen Ergänzungen des Buddhismus, nur die vom Lehrer selbst
dargelegten Grundlagen brauchen wir für die Zukunft. In diesen Grundlagen sieht
man die Lehre – nicht nur, wie sie mit eisernem Willen verwirklicht wurde,
sondern wie sie sich gleichsam mit den Schritten seiner langen Wanderungen
einprägte.
Man ist erstaunt über die
Argumente, mit denen oberflächliche Forscher die Lehre Buddhas als Lehre der
Hoffnungslosigkeit qualifizierten. Das entspricht keinesfalls der Wahrheit! Sie
ist eine Hymne an die Wichtigkeit der Arbeit, das Lied über den Sieg der
Menschheit, das Lied aufrichtiger Freude!
Die Lehre Buddhas kann als der
Versuch zu einer schöpferischen Gemeinschaft bezeichnet werden.
Nicht nur das buddhistische
Verständnis, sondern alle gerechten Denker müssen den Wert von Buddhas
Bemühungen schätzen.
* * *
Von jeher ist zwischen dem
Buchstaben und seinem Sinn unterschieden worden. Der Lehrer sagte: „Nicht der
Buchstabe ist Wissen, sondern der Inhalt."
Buddhas Wort unterscheidet sich
vom Buchstaben. Der Lehrer teilt dem Schüler die Wahrheit mit, doch der Schüler
kann sie sich nur nach tiefgehender, persönlicher Erkenntnis zu eigen machen.
Nach Aussagen buddhistischer
Gelehrter erfüllt die Prämisse, die der Lehre zugrunde liegt, alle Ansprüche
des Geistes, doch Geist mit dem beschränkten Verstand unwissender Menschen zu
verwechseln wäre äußerst absurd.
Bis heute sind zahlreiche, mehr
oder weniger authentische, buddhistische Texte erhalten geblieben, die uns
zumindest ungefähr das Wesen der Reden des Lehrers erkennen lassen. Aus diesen
Überlieferungen wissen wir, daß der Lehrer niemals
zögerte, alle an ihn gerichteten Fragen zu beantworten. Die alten Kompilationen
von Buddhas Ausführungen überzeugen vor allem durch die ungewöhnliche Prägnanz
und Bestimmtheit des Ausdrucks. Die Sutren sind
nichts anderes als Aphorismen oder kurz gefaßte
Gedanken Buddhas, die die philosophischen und ethischen Grundsätze der Lehre
enthalten. Die Aphorismen Buddhas bewahrten ihre Prägnanz auch in den
buddhistischen Überlieferungen, doch wurden bereits Erläuterungen hinzugefügt.
Die Lebendigkeit der Lehre
Buddhas war besonders auf die Kraft seiner einfachen Ausdrucksweise
zurückzuführen. Er sprach nie in irgendwelchen Versen. Er brüllte wie ein Löwe,
wenn es um die Reinheit des Lebens ging. Niemals hielt er lange Predigten,
sondern gab Erklärungen nur aufgrund eines besonderen Anlasses, wobei er
Gleichnisse verwendete, um den gegebenen Rat zu unterstreichen.
Buddha gebot seinen Schülern, die
Lehre immer in der Umgangssprache zu erläutern und tadelte streng jeden
Versuch, sie in eine unnatürliche Schriftsprache zu fassen. In den
buddhistischen Überlieferungen gibt es Hinweise, daß
der Lehrer sogar über die damaligen Grenzen Indiens hinausreiste, nach Tibet, Khotan und Altai.
* * *
Die überlieferten Einrichtungen
des Buddhismus – z.B. die Existenz großer Schulen in jeder Gemeinde, in denen
Kurse in Philosophie, Medizin, Mathematik, Astronomie und anderen Gegenständen
abgehalten werden – sind unmittelbar auf das Vermächtnis des Lehrers zurückzuführen,
der betont hat, daß „Unwissenheit ein Schandfleck
ist, der den Menschen mehr als alle anderen Fehler herabsetzt".
Die buddhistischen Schulen sind
dem Außenstehenden ebensowenig bekannt wie der genaue
Umfang ihrer literarischen Schätze, doch jede neue Information dient dazu, das
westliche Verständnis für die innere Struktur des Buddhismus zu fördern. Ohne
Sprache, ohne Wissen, ohne Glauben kann niemand in dieses Bollwerk, dem die
Gemeinschaft – die Sangha – so nahe ist, eindringen.
Wir sollten nicht vergessen, daß das Wort „Lama" Lehrer bedeutet und nicht Mönch,
wie es oft aus Unwissenheit verstanden wird. Seit ältesten Zeiten schrieben
gelehrte Lamas Bücher ab, druckten sie mit gravierten Steinplatten und waren
äußerst geschickte Künstler, doch als Urheber blieben sie stets anonym. Die Ehrfurcht
vor Büchern und Büchereien entspricht in Tibet der Tradition. Unter den
gelehrten Lamas war es Brauch, denjenigen, der in einer intellektuellen
Auseinandersetzung unterlag, in der Bibliothek einzusperren.
Die Wiederherstellung der alten Vinaya – die Grundsätze moralischer und die Gemeinschaft
betreffender Gebote des Buddhismus – galt immer, und besonders jetzt, als die
vordringlichste Aufgabe der buddhistischen Kommunalversammlungen.
Ein russischer Gelehrter sagte in
einem Vortrag anläßlich einer Ausstellung
buddhistischer Objekte in Petersburg: „Wir müssen zugeben, daß
die Grundlagen der buddhistischen Philosophie, wenn man sie richtig versteht
und in unsere philosophische Sprache übersetzt, eine außerordentliche Affinität
zu den neuesten Erkenntnissen im Bereich unserer wissenschaftlichen
Weltvorstellung aufweisen. ,Universum ohne Gott', ,Psychologie ohne eine
unveränderliche Seele', ,die Ewigkeit der Elemente der Materie und des Geistes',
was ja alles nur eine besondere Offenbarung des Gesetzes der Kausalität ist;
Vererbung – ein lebendiger Prozeß und nicht nur ein
bloßes Vorhandensein von Dingen; und im Bereich des praktischen Lebens die
Negierung der Rechte aus dem persönlichen Eigentum, die Ablehnung nationaler
Begrenzung, die universelle Bruderschaft aller Menschen, ohne das Recht auf
privates Eigentum. Schließlich der allgemein gültige und für uns alle
unentbehrliche Glaube, daß wir uns in Richtung
Vervollkommnung bewegen und bewegen müssen, ohne Rücksicht auf die Seele und
den freien Willen – dies sind die Wesenszüge des Buddhisten und auch unserer
gegenwärtigen, neuartigen Weltvorstellung."
Genaugenommen widerlegt die Lehre
Buddhas den bestehenden Irrtum, daß Evolution
beständig ist und ihre Gesetze von allem unabhängig wirken. Wir wissen, daß alles individuell lebt und sich bewegt; somit muß es eine besondere Koordination und Disziplin geben,
damit die erforderliche Ausgewogenheit, oder die Harmonie, nicht beeinträchtigt
wird. Die Behauptung, der Mensch müsse sich ungeachtet seiner selbst weiterentwickeln,
weil er ein Teil des übergeordneten Evolutionsplans sei, würde bedeuten, ihn
zum Spielball des Schicksals zu degradieren.
Mit Bedauern muß
man darauf hinweisen, daß die letzten Worte dieses
ausgezeichneten Vortrags – „Wir bewegen uns in Richtung Vervollkommnung und
müssen uns dorthin bewegen, ohne
Rücksicht auf den freien Willen" – in offensichtlichem Widerspruch zu
dem Grundprinzip der Lehre stehen, das für das Ziel der Vervollkommnung und des
höchsten bewußten Seinszustands eindeutig
persönliches Bemühen und äußerste Anstrengung fordert.
* * *
Wenn wir den Buddhismus und die
heutige Wissenschaft betrachten, wird offensichtlich, daß
die Buddhisten für alle evolutionären Errungenschaften sehr aufgeschlossen
sind. Den Grundstein für diese Eigenschaft legte natürlich
ihre Lehre. Wenn wir uns mit den Grundlagen vertraut machen, erkennen
wir, wie nachdrücklich die Aussagen des Lehrers durch die Errungenschaften
unserer heutigen Wissenschaft bestätigt werden. Dieselben Ergebnisse, die
Einstein durch Experimente erzielte, wurden vor langer Zeit von Buddhisten auf
rein kontemplative Weise erreicht.
Noch einmal wiederholen wir, daß der Buddhismus nicht als religiöse Offenbarung
betrachtet werden kann, denn Gotama Buddha verstand
seine Lehre als das Erfassen ewiger Wahrheiten, die ebenso von seinen
Vorgängern vertreten wurden.
Gotama lehrte, daß
alles, was existiert, aus Akascha oder der Primärsubstanz hervorgegangen ist,
in Übereinstimmung mit dem ihr innewohnenden Gesetz der Bewegung, und sich nach
einer bestimmten Existenzdauer wieder auflöst.
„Nichts entsteht aus dem
Nichts." Buddhisten glauben nicht an Wunder; daher verneinen sie die
Urschöpfung und können sich nicht vorstellen, wie etwas aus dem Nichts
geschaffen werden kann. „Nichts Organisches ist ewig. Alles befindet sich in
einem Zustand kontinuierlichen Fließens, unterliegt dem Wandel und erhält die
Kontinuität entsprechend dem Gesetz der Evolution."
„Die Welt existiert durch
Ursachen. Jedes Ding besteht aufgrund einer Ursache. Alle Wesen sind durch
Ursache gebunden."
Die ständige Veränderung der
Welt, die für unsere Sinnesorgane wahrnehmbar ist, und ihren Zerfall beschreibt
der Buddhismus als Auflösungserscheinungen, die zeitweilig und periodisch
stattfinden; denn nach dem Evolutionsprinzip, das durch das Gesetz des
individuellen und kollektiven Karma gesteuert wird, wird die erlöschende Welt
wiederum eine neue Welt mit all ihrem Inhalt hervorbringen, genauso wie sich
unser Universum aus der Primärsubstanz – der Materie –offenbart hat.
Während er Wunder verneinte, wies
der Lehrer auf die verborgenen Kräfte in der menschlichen Natur hin, die, wenn
man sie entwickelt, die sogenannten Wunder hervorrufen können.
Die Methode, diese Kräfte zu
entfalten, wird in buddhistischen Büchern erläutert und als Wissenschaft „Iddhi-Vidhanana" bezeichnet, nach der es zwei
Erscheinungsformen dieser Kräfte gibt und zwei Wege, um sie zu erlangen. Die
niedere von beiden kann man durch verschiedene Formen der Askese und andere
physische Übungen entwickeln; die höhere, die alle möglichen Erscheinungen umfaßt, wird durch die Kraft der inneren Entwicklung
erreicht.
Die erste Entwicklungsmethode
dieser Kräfte gewährleistet keinen dauerhaften Erfolg, und das Erreichte kann
wieder verlorengehen, während innere Entwicklung nie verlorengehen kann. Ihre
Beherrschung wird erreicht, indem man den von Buddha aufgezeigten, edlen Weg
beschreitet.
Alle diese verborgenen Kräfte
entfalten sich nach und nach im Menschen, meist von selbst, in dem Maße, wie
der Mensch die niederen Äußerungen seines Wesens in der ganzen Kette früherer
Leben zu beherrschen gelernt hat.
Für die Entwicklung der Kräfte
höheren Grades sind vier Voraussetzungen unentbehrlich: 1. Wille, 2.
Willensanstrengung, 3. geistige Entwicklung, 4. Unterscheidungsvermögen
zwischen Wahrheit und Irrtum. Ein Mensch, der dieses Wissen oder diese
Fähigkeiten besitzt, die die Kräfte der Natur verstärken, kann die
ungewöhnlichsten „Wunder" vollbringen; mit anderen Worten – er kann jedes
wissenschaftliche Experiment durchführen. Buddha ermutigte niemanden zur
Offenbarung dieser Kräfte, da sie einen Verstand, der die solchen Erscheinungen
zugrundeliegenden Prinzipien nicht kennt, nur verwirren und außerdem eine
überladene Atmosphäre mit gewaltsam in Unruhe gebrachten Elementen schaffen.
Das Mahapari-Nirwana Sutra erwähnt ein ungewöhnliches Licht, das der
Körper des Buddha ausstrahlte und von seinem engsten Schüler Ananda beobachtet
wurde. Der Lehrer erklärte, daß diese physikalische
Ausstrahlung bei zwei Gelegenheiten vom physischen Auge wahrgenommen werden
kann: 1. Zum Zeitpunkt der großen Erleuchtung eines Menschen, der ein Buddha
wird; 2. in der Nacht, wenn so ein Mensch – ein Buddha – endgültig entschläft.
Wer die buddhistischen Quellen
studiert, findet viele wertvolle Hinweise auf die rein physikalische
Offenbarung der Ausstrahlung. Sie wird als leuchtende und äußerst feine Strahlung
beschrieben, die den Menschen umgibt, und ist der innerste Mittler der
menschlichen Wahrnehmung. „Diese Materie ist äußerst fein, so wie das Strahlen
eines Diamanten, gewichtslos und unverbrennbar, sie verschwindet nach dem Tod,
ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Trotzdem besteht sie aus
Atomen."
Heute ist diese Strahlung den
Europäern unter dem Namen „Aura" bekannt. Diese Strahlung ist ganz normal, und man hat wissenschaftlich nachgewiesen, daß nicht nur alle menschlichen und tierischen Organismen
sie besitzen, sondern auch Bäume, Pflanzen und Steine. Der erste Gelehrte und
Wissenschaftler, der auf diese Eigenart hingewiesen hat, war Baron Reichenbach.
Er zeigte auf, daß diese Strahlung etwas ganz
Natürliches ist; seine Experimente sind in seinen „Forschungen von 1844–45"
detailliert beschrieben.
Auch Dr. Baraduc
aus Paris photographierte diese Ausstrahlung, und
jetzt widmen sich in London, Amerika und Berlin mehrere Institute dem Studium
der menschlichen Emanationen – der Aura. Man hat nachgewiesen, daß diese Ausstrahlung verschiedene Schattierungen haben
kann, daß sie sich ausdehnt und ihr Leuchten an
Intensität zunimmt, entsprechend der geistigen und intellektuellen Entwicklung
des Menschen. Auch gewisse Erscheinungen wie das plötzliche Aufblitzen von
Farbstrahlen, die von den Schultern ausgehen, hat man beobachtet. Doch die
Wissenschaft konnte die Herkunft dieser Blitze bis jetzt nicht erklären.
Erwähnt wurde auch, daß die Kraft des Lichts dieser
Ausstrahlungen abnimmt, wenn der Organismaus krank
ist.
In ihrem Buch „Die magnetische
Aura des kosmischen Menschen" schreibt Mar-Galitu
(Frau J.P. Reimann): „Professor Jourevitsch aus
Moskau erwähnt die Y-Strahlen der menschlichen Aura, eine kürzlich
entdeckte, hochenergetische und unsichtbare Ausstrahlung."
„Nach einem Jahrzehnt intensiven
Experimentierens stellte Professor Jourevitsch die
Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten dem Internationalen Psychologischen Kongreß in Kopenhagen vor."
„Der Unterschied zwischen der
menschlichen Ausstrahlung und jener von Radium und Röntgenstrahlen besteht
darin, daß die menschliche Ausstrahlung viel feiner
ist und sogar dicke Mauern durchdringen kann, während die Röntgenstrahlen und
Radium von einer bestimmten Dichte der Körper, die sie durchdringen, abhängig
sind. Die Emanationen verwandeln zum Beispiel gasförmige Ströme, die sonst
Nicht-Leiter sind, in bemerkenswerte Leiter magnetischer Kraft. Die
grundlegende Eigenschaft der Y-Strahlen ist ihre weitreichende
Leitfähigkeit. Unabhängig von Entfernung und Intensität werden diese
gasförmigen Ströme unter dem Einfluß menschlicher
Ausstrahlung leitfähig. Ihre weitreichende und durchdringende Kraft wird durch
den kosmischen Kontakt menschlicher Ausstrahlungen bedingt, und daher schreibt
man ihnen eine stärkere Wirkung zu als anderen Strahlen."
„Außer ihrer weitreichenden Leitfähigkeit und
ihrem Durchdringungsvermögen können die γ-Strahlen beim Durchdringen
dichter Hindernisse auch mechanische Funktionen ausüben. Wenn γ-Strahlen
dicke Metallplatten durchdringen, verursachen sie Ablagerungen, sobald die
Strahlen in bewußt konzentrierter Art
hindurchgeschickt werden. Bei bestimmten Experimenten bewirken sie eine
Brechung der Lichtwellen. Sie können auch fotografiert werden. Die γ-Strahlen
der Aura liegen der Levitation und den Telekinese-Phänomenen
zugrunde. Die Arbeit von Professor Jourevitsch mit
dem Titel , γ-Strahlen als Leiter
biophysikalischer Energie' enthält 50 Fotografien seiner Experimente."
Die derzeitige Theorie über
hypnotische Suggestion kann man bereits in der folgenden Geschichte über Chullapanthaka in den Pali-Kommentaren zum Dhammapada finden:
„Chullapanthaka
war ein Schüler, der einige der Kräfte beherrschte. Eines Tages sandte Buddha
einen Boten zu ihm, und als dieser die Gemeinschaft erreichte, sah er
dreihundert Schüler in einer Gruppe sitzen, und jeder glich dem anderen aufs
Haar. Auf seine Frage nach Chullapanthaka antwortete
jeder der dreihundert: ,Ich bin Chullapanthaka.'
Der Bote kehrte verwirrt zu seinem Lehrer zurück, doch Buddha befahl ihm,
sofort wieder zurückzugehen und, sollte wieder das gleiche geschehen, den
ersten, der sich Chullapanthaka nennt, bei der Hand
zu nehmen und zu Buddha zu führen." Der Lehrer wußte,
daß der Schüler seine kürzlich erworbene Kraft
entfalten wollte, indem er dem Bewußtsein des Boten
ein trügerisches Bild suggerierte. Diese Kraft wird „Mahamaya
Iddhi" genannt, und um sie zu offenbaren, mußte sich Chullapanthaka in
seiner Vorstellung deutlich sein eigenes Bild vor Augen führen und es dann in
der gewünschten Anzahl dem Bewußtsein des Boten
suggerieren.
Auf die gleiche Art unterstützen
die heutigen, wissenschaftlichen Tatsachen die im Buddhismus vertretene Theorie
von Karma. Die zeitgenössische Wissenschaft lehrt, daß
jede Generation die unterschiedlichen Charakteristika der vorhergehenden
Generationen erbt, nicht nur im großen
und ganzen, sondern in jedem individuellen Fall.
Die Psychologie findet ihre
Daseinsberechtigung in der ausschließlichen und intensiven Aufmerksamkeit, die
Buddha den geistigen Prozessen und der Reinigung und Erweiterung des Bewußtseins seiner Schüler zuwandte, da er den Gedanken als
den dominierenden Faktor in der Evolution alles Seienden hervorhob. Die
psychologischen Vorgänge sind im Buddhismus eng mit der Physiologie verknüpft.
Der Buddhismus zieht keine
Grenzlinie zwischen den psychischen Prozessen und der Materie. Die psychischen
Vorgänge werden als die Offenbarungen der feinsten Eigenschaften der Materie
angesehen.
In den Dialogen des Buddha, Teil II, finden wir einen Hinweis auf die
Existenz eines Mentalkörpers, der das genaue Ebenbild des physischen Körpers
ist, nach Belieben nach außen treten kann und über große Entfernungen hinweg
wirken kann.
„Ganz konzentriert, völlig
gereinigt, äußerst klar, frei von Verdorbenheit und makellos, bereit zu
handeln, fest und unerschütterlich, setzt er seinen Geist ein und richtet ihn
darauf, den Mentalkörper hervorzurufen. Er ruft aus dem irdischen Körper einen
anderen Körper hervor, der eine Form hat, aus Gedankenstoff besteht und alle
Glieder und Teile besitzt, dem kein Organ fehlt. Es ist, als ob ein Mensch ein
Schilfrohr aus seiner Hülse herausziehen müßte. Er
weiß genau: Das ist das Schilfrohr, das ist die Hülse. Das Schilfrohr ist eine
Sache, die Hülse eine andere. Es ist die Hülse, aus dem das Schilfrohr
hervorgezogen wurde." Genauso ruft der Bhikshu
aus diesem Körper einen anderen Körper hervor, der eine Form hat, aus
Gedankenstoff gemacht ist, alle Glieder und Teile besitzt und dem kein Organ
fehlt.
Ausgehend von der
Unzerstörbarkeit der Energie betrachtete Buddha alles, was existiert, als
Aggregat der feinsten Energien.
Für die heutigen Physiker ist
Materie die bewegende Kraft, und die Wahrnehmung der Materie durch den Menschen
ist die Reaktion seiner Sinne auf die Schwingungen der Energie.
Und was ist Dharma anderes als
Energie? Nach dem Buddhismus existieren Dharmas für uns durch ihre Wirkungen;
alle unsere Wahrnehmungen sind vor allem Dharmas.
Wenn man diese Aussage in die
heutige Sprache übersetzt, könnte sie etwa lauten: Alle Sinneswahrnehmungen
sind ausschließlich Wirkungen der Energie, und Energie ist die einzige Größe,
die wirklich existiert. Genauso nimmt Buddhas Bestätigung, daß
der Gedanke auch über Entfernungen hinweg wirksam ist, unsere Forschungen im
Bereich der Gedankenübertragung und der drahtlosen Vermittlung vorweg. Da der
Gedanke Energie ist, unterliegt er als solche in seiner Wirkungsweise dem
gleichen Gesetz wie jede andere Energie. Wir wissen, daß
die Hertz-Wellen über Tausende von Meilen drahtlos in den Raum
hinausgesandt werden, mit dem Ergebnis, daß sie von
jedem darauf eingestellten Empfänger aufgefangen werden können. Warum sollte
dann der Mensch nicht Gedankenenergie aussenden können, die in dem dafür empfänglichen
Menschen identische Schwingungen auslöst?
Somit übernahm Buddha in vielen
Wissensgebieten eine Vorreiterrolle. Er betonte auch den Unterschied zwischen
dem Augenscheinlichen und der Wirklichkeit. Sein Vergleich des
Augenscheinlichen mit einem Trugbild oder einer Illusion (Maya) ist für jede
zeitgenössische Diskussion passend.
Diese Große Weisheit könnte, wenn
man nicht am Buchstaben hängenbleibt, sondern ihren Sinn erforscht, einen
unvoreingenommenen Verstand mit unschätzbaren Werten bereichern.
Man kann die Philosophie des
Buddhismus als die Analyse einzelner Elemente bezeichnen, die durch die
Entstehung eines bestimmten individuellen Stroms in eine Verbindung
miteinbezogen werden. Der individuelle Strom wird durch zahllose Inkarnationen
des Menschen auf der Erde, auf anderen Ebenen und in anderen Welten angesammelt
und genährt. Indem dieser Strom alle Merkmale jeder Inkarnation in sich
aufnimmt, vermehren sich die ihm eigenen Möglichkeiten – er verändert sich und
erhält sich ewig selbst. Wirkliche Individualität, wahre Unsterblichkeit, liegt
in der Verwirklichung des wahren „Ich", das sich aus unzähligen
Verbindungen menschlicher Offenbarungen zusammensetzt.
„Jedes Wichtignehmen
der Persönlichkeit ist zwecklos; das Selbst ist wie ein Trugbild, und alle
Leiden, die es bedrücken, werden vergehen. Sie werden entschwinden wie ein
Alptraum, wenn der Schlafende erwacht."
Im Buddhismus ist der Mensch kein
machtloser Zwerg, wie es der westlichen Auffassung entspricht, sondern der Herr
der Welten. Da er einen Teil des Kosmos darstellt, ist er wie dieser in seinen
Möglichkeiten unbegrenzt.
Das Datenmaterial zur Schöpfung
des Kosmos, zur Existenz unzähliger Weltsysteme, die unaufhörlich in Bewegung
sind, sich manifestieren und wieder auflösen, bestätigt, daß
die meisten Welten bewohnt sind und die Organismen, die diese Welten bevölkern,
den Eigenarten und der Struktur ihres Planeten völlig angepaßt
sind – das sind die Fragen, die zur Zeit den wirklichen Wissenschaftler
bewegen.
Somit bestätigt die heutige Wissenschaft,
in Übereinstimmung mit den buddhistischen Grundprinzipien, erstmalig den
überaus wirklichkeitsnahen Gehalt dieser Lehre – die Realität des
lebensspendenden Wesens der großen „Materie".
Wir wollen jenem Großartigen
Denker die gebührende Achtung erweisen, der, bewegt durch seinen machtvollen
Geist, die gesamten Grundlagen des Seins auslotete, die Lebensprobleme löste
und auf die Ziele der Evolution – bewußte
Zusammenarbeit mit dem Kosmos und Vereinigung mit den fernen Welten – hinwies.
* * *
Keine Lehre hat die Zukunft so
genau vorausgesehen wie der Buddhismus. Neben Buddha selbst verehrt der
Buddhismus auch Bodhisattwas – künftige Buddhas. Laut Überlieferung war Gotama, bevor er den Zustand eines Buddha erreichte, über
viele Jahrhunderte ein Bodhisattwa. Das Wort Bodhisattwa enthält zwei Begriffe: Bodhi – Erleuchtung oder
Erwachen und Sattwa – das Wesen. Wer sind diese Bodhisattwas? – Die Schüler Buddhas, die
freiwillig auf ihre persönliche Erlösung verzichten und, dem Beispiel ihres
Lehrers folgend, einen langen, mühsamen und dornigen Pfad der Hilfe für die
Menschheit beschritten haben. Solche Bodhisattwas erscheinen auf der Erde unter
den verschiedensten Umständen. Sie sind physisch in keiner Weise von der
übrigen Menschheit unterscheidbar, doch in ihrer Psychologie unterscheiden sie
sich vollständig und agieren unermüdlich als Vorboten des Allgemeinwohls.
Buddha, der sein Augenmerk vor
allem auf den Fortgang der Evolution richtete, bat seine Schüler, die
zukünftigen Buddhas mehr zu verehren als die der Vergangenheit. „So wie der
Neumond mehr verehrt wird als der Vollmond, so müssen jene, die an mich
glauben, Bodhisattwas mehr verehren als Buddhas."
In der Geschichte findet sich
nirgendwo so ein eindrucksvolles Beispiel von Selbstverleugnung. Nach der
Überlieferung sagte der Gesegnete den Bodhisattwa Maitreya als seinen
Nachfolger voraus:
„Und der Gesegnete sagte zu
Ananda: ,Ich bin weder der erste Buddha, der auf die
Erde gekommen ist, noch werde ich der letzte sein. Zu gegebener Zeit wird ein anderer
Buddha in der Welt erscheinen, ein Heiliger, ein höchst Erleuchteter, begnadet
mit Weisheit in seinem Verhalten, das Universum umfassend, ein
unvergleichlicher Führer der Menschheit, ein Herrscher über Devas und
Sterbliche. Er wird euch die gleichen ewigen Wahrheiten enthüllen, die ich euch
gelehrt habe. Er wird seinem Gesetz Geltung verschaffen, großartig in seinem
Ursprung, glorreich auf dem Höhepunkt und wunderbar an seinem Ziel, im Geist
und im Wort. Er wird sich für ein rechtschaffenes Leben einsetzen, vollkommen
und rein, so wie ich es jetzt verkünde. Seine Schüler werden sich auf viele
Tausende belaufen, während die meinen nur viele Hunderte zählen.'
Ananda fragte:
, Wie werden wir ihn erkennen?'
Der Gesegnete sagte: ,Er wird als Maitreya bekannt sein!'“
Der zukünftige Buddha, Maitreya,
ist, wie sein Name besagt, der Buddha des Mitgefühls und der Liebe. Dieser
Bodhisattwa wird aufgrund der Kraft seiner Eigenschaften häufig Ajita – der Unbesiegbare – genannt.
Es ist interessant zu wissen, daß die Verehrung mehrerer Bodhisattwas nur in der Mahayana-Schule akzeptiert und entwickelt
wurde. Trotzdem wird die Verehrung eines Bodhisattwa –
des Maitreya, der von Buddha selbst als Nachfolger erwählt wurde, – auch im
Hinayana anerkannt. So schließt ein Bodhisattwa, Maitreya, alles mit ein – als
die Personifikation aller Bestrebungen des Buddhismus.
Welche Eigenschaften muß ein Bodhisattwa besitzen? In der Lehre des Gotama Buddha und in der Lehre des Bodhisattwa Maitreya,
die er laut Überlieferung im vierten Jahrhundert Asanga
übergeben hat (Mahayana-Sutralankara) wurden
vor allem die größtmögliche Entwicklung von Energie, Mut, Geduld, Beständigkeit
im Streben, und Furchtlosigkeit hervorgehoben. Energie ist die Grundlage von
allem, denn sie allein beinhaltet alle Möglichkeiten.
„Buddhas sind immer in Aktion;
Unbeweglichkeit kennen sie nicht. Wie die ewige Bewegung im Raum offenbaren
sich die Handlungen der Söhne der Eroberer in den Welten."
„Mächtig, tapfer und festen
Schrittes weist er nie die Last eines Opfers für das Allgemeinwohl
zurück."
„Es gibt drei Freuden der
Bodhisattwas: die Freude des Gebens, die Freude des Helfens und die Freude
ewiger Erkenntnis; Geduld immer, in allem und überall. Die Söhne der Buddhas,
die Söhne der Eroberer, Bodhisattwas in ihrem aktiven Mitgefühl sind zugleich
die Mütter der gesamten Existenz."
In der ganzen buddhistischen Welt
weisen die Felsen am Straßenrand, mit den Bildern von Maitreya, auf die nahende
Zukunft hin. Seit alters her wird dieses Bildnis bis heute von Buddhisten, die
vom Herannahen der Neuen Ära wissen, immer wieder errichtet. Heutzutage reisen
ehrwürdige Lamas, begleitet von Schülern, Malern und Bildhauern, durch die
buddhistischen Länder und errichten neue Bildnisse des Symbols, das für die
Sehnsucht nach einer strahlenden Zukunft steht.
* * *
Die Lehre Buddhas muß neu geprüft und für die Allgemeinheit zugänglich
gemacht werden. Es ist merkwürdig, wenn man heutzutage über die Gemeinschaft
nachdenkt, ohne die Grundlagen des ersten wissenschaftlichen Verfechters der
Gemeinschaftsidee zu kennen. Die Hand Buddhas bereitete unermüdlich das
Experiment des Weltlaboratoriums vor. Die Tatsache, daß
Buddha die Weltgemeinschaft für die Evolution der Menschheit als unabdingbar
ansah, verleiht an sich seiner Lehre die feurige Überzeugungskraft.
In Buddhas Aufbau der Lehre kann
man sich durch unzählige Stufen bewegen, und die Türen werden überall für den
Ruf der Gemeinschaft geöffnet sein. Sein gründliches Wissen erlaubte es Buddha,
die Entwicklungsstufe seiner Zeitgenossen genau zu erkennen und die
Verwirklichung der universellen Gemeinschaft erst in ferner Zukunft zu sehen.
Die Hochachtung vor Buddha war
dergestalt, daß niemand das Bild des Lehrers mit dem
Attribut der Göttlichkeit trübte. Buddha hat sich den Herzen als Mensch
eingeprägt, als Lehrer, der bestätigt. In dieser löwenhaften, feurigen
Bekräftigung sah er Maitreya voraus – das Symbol der Ära, die die Großartigkeit
der Materie begreift und die große universelle Gemeinschaft bejaht.
* * *
Der Gesegnete sagte:
„Unterscheidet zwischen denen, die verstehen, und denen, die zustimmen. Wer die
Lehre versteht, wird nicht zögern, sie im Leben anzuwenden; wer zustimmt, wird
nicken und die Lehre als beachtenswerte Weisheit preisen, aber er wird diese
Weisheit nicht im Leben anwenden."
„Es gibt viele, die
beigepflichtet haben, doch sie sind wie ein verdorrter Wald – fruchtlos und
ohne Schatten. Nur Verwesung erwartet sie."
„Es gibt nur wenige, die
verstehen, doch wie ein Schwamm saugen sie das kostbare Wissen in sich auf und
sind bereit, mit diesem kostbaren Naß die Welt vom
Schrecken reinzuwaschen."
„Wer verstanden hat, kann gar
nicht umhin, die Lehre anzuwenden; indem er ihre Zweckmäßigkeit erkennt, nimmt
er sie als Lösung für das Leben an."
„Verschwendet nicht zuviel Zeit mit denen, die zustimmen. Sie sollen zuerst
zeigen, daß sie den ersten Ruf befolgen."
So äußerte sich die sinnvolle
Einstellung des Gesegneten gegenüber Neuankömmlingen.
* * *
All dies bedeutet, daß die Reinigung der Lehre nicht nur auf der Annahme ihrer
Grundlagen beruht, sondern auf ihrer Anwendung im Leben. Ein abstraktes
Verstehen der Lehre des Gesegneten ist unmöglich. Wir erkennen zwar, wie sehr
die Lehre in das Leben eindringt, wenn wir erkennen, wie ganze Länder von der
Lehre abfallen, wenn sie, anstatt die Lehre im Leben anzuwenden, diese nur mehr
als Anlaß für abstrakte Abhandlungen wahrnehmen. In
Tibet ist eine Abnahme des religiösen Interesses offensichtlich. Man kann sogar
beobachten, daß die Bön-Lehre,
die Antithese des Buddhismus, zunimmt.
Dem Tashi-Lama
war es nicht möglich, in Tibet zu bleiben. Seinem Beispiel folgten viele der
besten Lamas und verließen Tibet. Ohne diese gelehrten Lamas schlief das
religiöse Leben in Tibet dann allmählich ein.
Anhand solcher Beispiele läßt sich nachvollziehen, wie die Lehre nach und nach
entstellt wird.
Gleichzeitig aber kann man den
Siegeszug der Lehre in anderen Ländern beobachten, wo die Menschen sich
bemühen, die Grundlagen im Leben anzuwenden. Denselben Zweck erfüllt die neue
Tendenz, den Anhängern des Hinayana mit Toleranz zu
begegnen.
Buddha, als die Quelle, und
Maitreya, als universelle Hoffnung, werden die Anhänger der strengen Lehre des
Südens mit der Vielförmigkeit des Nordens vereinen.
Was für die nächste Zukunft am wesentlichsten
ist, wird sich zweifellos von selbst zeigen. Anstatt mit Kommentaren überhäuft
zu werden, wird die Lehre ihre Schönheit, die im Wert der prägnanten
Überzeugungskraft liegt, wiedererlangen. Das neue Zeitalter des Maitreya
benötigt Überzeugung. Das Leben in seiner Gesamtheit muß
durch die Flamme der Errungenschaft gereinigt werden. Der große Buddha, der
Maitreya vorherbestimmt hat, beschrieb den richtigen Weg für die gesamte
Existenz. Nach diesen weisen und klaren Vermächtnissen verlangt die künftige
Evolution.
Die Forderung nach der Reinigung
der Lehre kommt nicht zufällig. Die Fristen nahen. Der Geist des Maitreya ist
bereit, sich zu erheben. Alle Buddhas der Vergangenheit haben ihre
Erfahrungsweisheit vereint und dem zukünftigen Gesegneten übergeben.
* * *
Der Lama verkündet: „Möge das
Leben hart wie ein Diamant sein; siegreich wie das Banner des Lehrers; mächtig
wie ein Adler – und möge es ewig währen."
* * *